Der unauffällige Herr Stein

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung hat mit Thore Stein ein neues Vorstandsmitglied gewählt. Der Kommunalpolitiker aus Mecklenburg-Vorpommern ersetzt den neurechten Publizisten Erik Lehnert, der aus Sorge vor einer Verfassungsschutz-Beobachtung gehen musste. Doch idas-Recherchen zeigen: Auch Stein kommt aus extrem rechten Kreisen.


Beitrag vom 25.09.2020, 19:45 Uhr │ Im Bild: Thore Stein, links bei einer AfD-Veranstaltung und rechts als Student in vollem Wichs der Bonner Raczeks.


Ein Nachfolger für Erik Lehnert

Der Machtkampf in der AfD hat in den vergangenen Monaten hohe Wellen geschlagen, auch die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) blieb nicht verschont. Dort wurde im Mai ein Vorstandsmitglied abgesetzt: Erik Lehnert, der Schriftführer des Stiftungsvereins. Weichen musste er, weil er zugleich Vorsitzender des Instituts für Staatspolitik (IfS) ist, einem neurechten Thinktank. Den wiederum hält das Bundesamt für Verfassungsschutz für einen „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ und beobachtet den Verein seit Frühjahr. Das weckte Sorgen in der DES, selbst ins Visier zu geraten, die Gemeinnützigkeit zu verlieren und künftig von der Möglichkeit abgeschnitten zu werden, staatliche Fördermittel einzustreichen. Sie könnten fließen, wenn die AfD im kommenden Jahr zum zweiten Mal in den Bundestag einzieht. Es geht um Millionenbeträge.

Freiwillig verließ Lehnert seinen Stiftungsposten nicht, er wurde gegangen. Die DES-Vorsitzende Erika Steinbach nannte das eine „Entscheidung von elementarer Bedeutung“. Lehnert im Vorstand zu halten hätte der Ex-CDU-Politikerin zufolge „eine so enge Verzahnung zwischen dem IfS und unserer Stiftung bedeutet, dass wir automatisch mit in den Strudel der IfS-Beobachtung hineingezogen worden wären“, teilte sie in einem Rundschreiben mit, das die Wogen glätten sollte. Doch die Trennung kam in Kreisen des völkisch-nationalistischen Flügels nicht gut an. Dort pochte man auf das DES-Konzept, alle Parteiströmungen ausgewogen zu repräsentieren, auch die radikaleren Kräfte sollen ihren Platz haben. Daraus wurde eine offene Drohung gestrickt: Wenn die DES nicht pariert, könnte man ihre Anerkennung als parteinahe Stiftung, die vor gut zwei Jahren nur knapp zustande gekommen war, wieder rückgängig machen. Von dieser Option erfuhr Steinbach durch einen Anruf, am anderen Ende der Leitung redete Parteipatriarch Alexander Gauland auf sie ein und warb nachdrücklich für einen Verbleib Lehnerts, um des Parteifriedens willen. Dem Vernehmen nach soll Steinbach in dieser Zeit erwogen haben, ihr Amt hinzuschmeißen. Doch dann folgte eine dünne Mehrheit der Stiftungsmitglieder dem Antrag, Lehnert abzusetzen.

Inzwischen hat die DES eine Art Ausgleich geschaffen und den freigewordenen Vorstandsposten neu besetzt. Passiert ist das am vergangenen Samstag bei einer weiteren Mitgliederversammlung, parallel zur Tagung des AfD-Bundeskonvents in Erfurt. Eine offizielle Mitteilung über die Ergebnisse des Treffens, das in Frankfurt am Main stattfand, gibt es nicht. Aber ein Detail hat sich Anfang der Woche auf der Stiftungswebsite verändert: In einer Auflistung der Vorstandsmitglieder taucht Thore Stein als neuer Schriftführer auf, genau an der Stelle und auf dem Posten, den vorher Lehnert besetzt hatte. Zwei Dinge dürften für Stein gesprochen haben. Zum einen ist er kaum bekannt, voraussichtlich niemand, an dem jemand Anstoß nehmen wird. Zum anderen dürfte der Mann dem rechten Rand der Partei ausgesprochen gut gefallen und als passabler Ersatz für seinen Vorgänger durchgehen.

Einschlägige Verbindungen

Der 32-jährige Thore Stein stammt aus Ahrweiler, südlich von Bonn. Schon zu Schulzeiten war er politisch aktiv, schloss sich der Jungen Union an. Teile seines damaligen Freundeskreises kamen aus dem tiefbraunen Spektrum, sie gehörten zur neonazistischen Kameradschaft Rhein-Ahr. Als Stein später in Bonn Forstwirtschaft studierte, trat er dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) bei, kandidierte für den Unions-nahen Verband zur Wahl des Studierendenparlaments und sorgte damit erstmals für Schlagzeilen. Denn wie sich herausstellte, war er bereits als Abiturient Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn geworden, einer extrem rechten Studentenverbindung. Der RCDS quittierte das mit dem Rauswurf. Stein verteidigte sich damals in der Presse und distanzierte sich „von jeglichem rechtsextremistischen Gedankengut“.

Doch in Wirklichkeit weitete er sein Engagement in Burschenkreisen noch aus, trug bald auch das Band der radikalen Hamburger Burschenschaft Germania und der Halle-Leobener Burschenschaft Germania (HLB). Aus der HLB ging später mit der Gruppe „Kontrakultur“ einer der bedeutsamsten Ableger der Identitären Bewegung hervor. Stein, der zeitweise im Verbindungshaus in Halle wohnte und vor Ort sein Masterstudium beendete, stand zudem in Kontakt mit der Leipziger Burschenschaft Germania — nach idas-Informationen auch mit dem späteren AfD-Mitarbeiter Michael Volker Schuster, der sich von Leipzig aus am Aufbau einer rassistischen Prepper-Gruppe beteiligte. Ende 2012 erkundigte sich Schuster bei Stein nach der Möglichkeit, an einer Feier zur „Wintersonnenwende“ teilzunehmen, in deren Planung Stein offenbar einbezogen war. Hinter der Veranstaltung stand die neonazistische Junge Landsmannschaft Ostpreußen, die heute auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD auftaucht.

Zur Partei stieß Stein, der damals in Niedersachsen lebte und für eine landwirtschaftliche Unternehmensberatung in Peine arbeitete, bereits kurz nach der Gründung im April 2013, zur Nachwuchsorganisation Junge Alternative im Jahr darauf. Später wechselte der Agrarwissenschaftler nach Mecklenburg-Vorpommern, lebt heute in der kleinen Gemeinde Moraas, südlich von Schwerin. In der Landeshauptstadt fand er einen neuen Job, als Referent für Agrarpolitik bei der AfD-Landtagsfraktion. In seinem Kreisverband Südwestmecklenburg ist er Beisitzer im Vorstand, kandidierte im vergangenen Jahr zudem erfolgreich als einer der Spitzenkandidaten zur Kreistagswahl in Ludwigslust-Parchim. Inzwischen leitet er die Kreistagsfraktion, auch wenn das nicht geplant war. Stein ersetzt dort Dennis Augustin, den ehemaligen AfD-Landesvorsitzenden, der Mitte 2019 aus der Partei ausgeschlossen wurde, weil er frühere Kontakte zur NPD verschwiegen hat. Vor wenigen Wochen erst wurde der parteilose Augustin als Chef der Fraktion abgewählt, aus der er daraufhin austrat. So konnte Stein aufsteigen.

Völkische Bande

Der AfD-Kommunalpolitiker ist auch Reservist im Rang eines Oberleutnants. Ein eher fragwürdiges Interesse für das Soldatische dokumentiert sein Name unter einer Petition, die 2014 in einschlägigen Kreisen die Runde machte. Sie warb für den Erhalt des Fallschirmjägerdenkmals auf Kreta. Das umstrittene Monument, das bereits 1941 errichtet wurde, ist Wehrmachtsangehörigen gewidmet, die lautet Inschrift „fern der Heimat getreu eurem Fahneneid das Leben gabet unserem Großdeutschland“. Jene Soldaten hatten den Auftrag, die Insel einzunehmen. Dabei verübten sie Massaker an der Zivilbevölkerung und brannten ganze Ortschaften nieder. Unter denen, die wie Stein daran offenbar keinen Anstoß nahmen und die Petition unterzeichneten, gehörten weitere AfD-Politiker sowie Neonazis, etwa Udo Pastörs, der zehn Jahre lang im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern saß und zeitweise Bundesvorsitzender der NPD war.

Stein selbst hat Mitte der 2000er Jahre in Clausthal-Zellerfeld gedient. Dort stationiert ist eine Einheit für psychologische Kriegsführung. Dieser Truppenteil ist in rechten Kreisen berüchtigt, ihn haben unter anderem auch der langjährige NPD-Spitzenfunktionär Andreas Molau, der neurechte Publizist und Verleger Götz Kubitschek und der AfD-Politiker Peter Felser durchlaufen, der heute Vizevorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion ist. Den guten Draht zur Truppe nutzte Stein später, um ein besonderes Ereignis in seinem Leben mit ganz speziellen Kameraden zu feiern. Vor rund sechs Jahren nämlich heiratete er Svenja Mörig. Das Paar hat inzwischen vier gemeinsame Kinder.

Svenja Mörig kommt aus einer völkischen Familie. Ihr Vater – also Steins heutiger Schwiegervater – ist mit Gernot Mörig der frühere „Bundesführer“ des Bund Heimattreuer Jugend (BHJ). Aus dem BHJ ist später Die Heimattreue Jugend (DHJ) und schließlich die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) hervorgegangen. Diese Neonaziorganisation wurde 2009 bundesweit verboten. Gernot Mörig blieb ihr bis fast zum Schluss verbunden, noch 2007 nahm er an einem HDJ-„Lager“ in Eschede teil. Es war die gleiche Veranstaltung, bei der auch Andreas Kalbitz auftauchte. Unter anderem wegen der HDJ-Verbindung wurde Kalbitz die AfD-Mitgliedschaft aberkannt. Sein Anwalt Andreas Schoemaker, der das nicht abwenden konnte, kommt übrigens wie Stein von den Raczeks – und wurde deshalb gar nicht erst in der AfD aufgenommen.

Mit Neonazis in der Kaserne

An der standesamtlichen Trauung von Thore Stein und Svenja Mörig, die heute seinen Namen trägt, nahmen Personen aus einschlägigen völkischen und bündischen Kreisen teil. Später, im Juni 2015, veranstaltete Stein eine größere Feier, zu der er ausgewählte Freunde und Weggefährten einlud – sie entpuppten sich als Burscherschafter, teils sogar als bundesweit bekannte Neonazis. Ort der Fete: eine Liegenschaft der Bundeswehr, das Offiziersheim in der Berliner Julius-Leber-Kaserne. Die Gästeliste musste vorab beim Wachposten der Kaserne hinterlegt werden, so wollten es die Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr.

Auf der Gästeliste, die Stein zusammenstellte, standen nach idas-Informationen Mitglieder der Raczeks und der HLB. Aus der Bonner Burschenschaft war beispielsweise Matthias Brauer eingeladen, der als Anwalt arbeitet und wiederholt AfD-Politiker*innen vertreten hat. Er geriet 2007 in die Schlagzeilen, als er aus der Burschenschaft Marchia Bonn geworfen wurde. Grund: Brauer hatte im Garten der Verbindung, der als Alter Herr auch der ehemalige sächsische Verfassungsschutz-Präsident Gordian Meyer-Plath angehört, ein Holzkreuz aufgestellt und es im Ku-Klux-Klan-Stil niedergebrannt. Noch eindeutiger waren die Bundesbrüder aus Halle, die Stein – versehen mit einem szenetypischen Gruß – eingeladen hat. Darunter befanden sich etwa die bekannte Neonazi-Aktivisten Matthias Bady – sein Nachname lautet inzwischen Stock – und Torsten Görke, der erst bei den Jungen Nationaldemokraten aktiv war und dann zu den ebenfalls verfassungsfeindlichen Identitären überwechselte.

Am bekanntesten aus Steins Entourage ist aber Michael Schäfer, der einst JN-Bundesvorsitzender und zeitweise bei der sächsischen NPD-Landtagsfraktion angestellt war. Vor drei Jahren referierte Schäfer bei der Erasmus-Stiftung Brandenburg, der ersten AfD-nahen Stiftung auf Landesebene, die mit der DES nicht verbunden ist. Im Sommer 2018 nahm er auf Einladung des AfD-Abgeordneten Frank Pasemann an einer Veranstaltung im Bundestag teil. Pasemann hatte dazu Philip Stein eingeladen, der von Dresden aus die neofaschistische Initiative „Ein Prozent“ anführt und Schäfer als „Experten“ mitbrachte. Für die Initiative, die inzwischen durch Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird, ist Schäfer bis heute aktiv.