Presseschau, 53. Kalenderwoche 2020

Bayern-Fraktion schrumpft, Böller-Klage in Dresden, Impfskepsis in Sachsen, illegale AfD-Party in Cottbus, Chrupalla beklagt „Zersetzung“, Großspende aus Berlin, Ordnungsrufe im Bundestag, Freie Wähler zerfallen, „Polizisten für Aufklärung“. Das war diese Woche wichtig:


In der Presseschau informiert idas jeden Sonntag über lesenswerte Medienberichte und Recherchen rund um die AfD, die im Laufe der Woche erschienen sind.


Top Stories

Der bayerische Landtagsabgeordnete Ralph Müller hat die AfD verlassen. Sein Parteibuch gebe er aus „einer Reihe von triftigen Gründen“ zurück, sagte er auf Medienanfragen, ohne Hintergründe zu nennen. Der AfD-Fraktion gehört er automatisch nicht mehr an, sie schrumpft durch den Austritt von ursprünglich 22 auf jetzt noch 19 Mitglieder. Dem Parlament will Müller weiter als fraktionsloser Abgeordneter angehören. Mit seinem Schritt kommt er einem Parteiausschlussverfahren zuvor, das der Landesvorstand mit großer Mehrheit und offenbar auf Initiative der Fraktionsspitze eingeleitet hatte. Müller wurde vorgeworfen, ohne Billigung der Parteispitze und ohne Anerkennung des umgebenden Bezirksverbands einen Kreisverband „Nürnberger Land“ gegründet und sich selbst als Vorsitzenden eingesetzt zu haben. Hinzu kamen Zerwürfnisse mit mehreren Funktionär*innen und Abgeordneten der Partei. Innerhalb der Fraktion galt Müller als Gegner der Flügel-nahen Vorsitzenden Katrin Ebner-Steiner. „Zuletzt wurde Müller selten im Landtag gesehen und hat sich laut Fraktionsmitgliedern bis Jahresende als krank gemeldet“, berichtet der Bayerische Rundfunk. (↪ BR, 29.12., ↪ Merkur, 29.12., ↪ SZ, 30.12.)

AfD in Sachsen

Der Dresdner AfD-Stadtrat Heiko Müller hat erfolglos versucht, beim Verwaltungsgericht Dresden mittels Eilantrag gegen eine Allgemeinverfügung vorzugehen, mit der das Mitführen und Zünden von Pyrotechnik in der Silvesternacht und am Neujahrstag verboten worden ist. Damit war die Landeshauptstadt noch über die bundeseinheitliche Regelung hinausgegangen, die den Verkauf von Feuerwerkskörpern untersagte. Müller wandte sich insbesondere gegen die städtische Vorschrift, dass auch auf Privatgrundstücken das Abbrennen von Pyrotechnik unterbleiben muss. Gegenüber der Sächsischen Zeitung betonte er, die Klage als Privatperson und nicht im Namen der Partei zu betreiben. Das Verwaltungsgericht befand, dass die Einschränkungen, die der Kontaktreduzierung auch im privaten Bereich dienen, verhältnismäßig seien, und verwarf in dem Zusammenhang vier weitere Eilanträge mit ähnlichem Inhalt. Müller möchte das nicht hinnehmen. Er kann Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht einlegen und will in der Sache nach eigenen Angaben „bis vor das Bundesverfassungsgericht“ ziehen. (↪ TAG24, 31.12., ↪ Sächsische, 01.01.)


Sächsische Anhänger*innen der AfD blicken ausgesprochen pessimistisch auf die Folgen der Corona-Pandemie. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die das INSA-Institut im Auftrag der LVZ durchgeführt hat. Demnach rechnet man im Spektrum der Partei häufig damit, dass das politische System destabilisiert worden sei, dass eine Pleitewelle unausweichlich komme und Staatshilfen für betroffene Branchen nicht ausreichen würden. Zugleich glauben 35 Prozent der AfD-Wähler*innen, dass die Pandemie „von selbst“ verschwinden wird. In der volljährigen Gesamtbevölkerung des Freistaates gehen davon nur 17 Prozent aus. Die Umfrage bestätigt erneut, dass die Impfbereitschaft bei der AfD gering ausgeprägt ist, eine Mehrheit ihrer Wähler*innen will sich nicht impfen lassen. Dagegen setzen drei Viertel der Wähler*innen von CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP große Hoffnungen auf das Impfprogramm. (↪ LVZ, 02.01.)

AfD rundherum

In Cottbus ist es in der Nacht zum vergangenen Sonntag zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung der AfD-Stadtverordneten Monique Buder gekommen. Die 33-Jährige feierte dort lautstark ihren Geburtstag bei einer illegalen Party; Beamt*innen rückten wegen Ruhestörung an, nachdem aus der Wohnung heraus Pyrotechnik gezündet wurde. Beim Eintreffen der Einsatzkräfte soll Buder aggressiv reagiert und eine Überprüfung ihrer Identität zunächst verweigert haben. Wie die Polizei schildert, soll während des Gesprächs ein 35-Jähriger Mann einen Beamten unvermittelt attackiert und zu Boden gerissen, sich auf ihn gekniet und gewürgt haben. Der Übergriff wurde durch den Einsatz von Pfefferspray beendet. Buder und der Angreifer wurden in Gewahrsam genommen, beide waren stark alkoholisiert. Ermittelt wird nun wegen Widerstands und tätlichen Angriffs, bei der Staatsanwaltschaft Cottbus wurden Verfahren eingeleitet. Zudem liegt ein Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung in dem Bundesland vor, das private Feiern auf höchstens fünf Personen aus zwei Hausständen begrenzt. Politisch droht der AfD ein Nachspiel, denn unter den Gästen befand sich auch der Landtagsabgeordnete Daniel Freiherr von Lützow, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der brandenburgischen Landespartei ist. Er gab im Nachhinein an, dass er mitten in der Nacht nur „kurz gratulieren“ wollte. Von einer Auseinandersetzung habe er nichts mitbekommen, auch Buder behauptet das und lehnt eine weitergehende Stellungnahme bislang ab. Die AfD Cottbus kündigte inzwischen „parteiinterne Ordnungsmaßnahmen“ an, von Lützow soll in einer Fraktionssitzung Stellung nehmen. Der Fraktionsvorsitzende Christoph Berndt sagte, man lehne „jede Gewalt gegen Polizisten ab“. (↪ LR, 28.12., ↪ MAZ, 29.12., ↪ PNN, 29.12., ↪ RBB, 29.12., ↪ LR, 30.12., ↪ RBB, 30.12., ↪ MOZ, 01.01.)


Voraussichtlich im April will die bayerische AfD ihre Liste für die Bundestagswahl aufstellen. Es handelt sich um einen neuen Anlauf, einen Landesparteitag im Freistaat durchzuführen, nachdem das im vergangenen November pandemiebedingt nicht möglich und die Durchführung sogar gerichtlich verboten worden war. Bei der Vergabe der Listenplätze droht ein Kräftemessen der verfeindeten Parteilager, die in Telegram-Gruppen bereits begonnen haben, „zwei separate Personaltableaus“ zusammenzustellen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Nach Informationen des Blattes erwägen derzeit 13 der 14 bayerischen AfD-Abgeordneten, erneut anzutreten, hinzu kommen Funktionäre aus Kreisverbänden sowie Landtagsmitglieder, die über einen Wechsel nach Berlin nachdenken. Problem: Mit 12,4 Prozent war die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Bayern so erfolgreich wie in keinem anderen westdeutschen Bundesland. Doch jüngste Umfragen sehen die Partei dort nur noch im einstelligen Bereich, das verschärft die Konkurrenz. Weiter vakant ist auch die Spitzenkandidatur. Lange war angenommen worden, dass die Landesvorsitzende Corinna Miazga diese Rolle beanspruchen wird. Aufgrund einer schweren Erkrankung hat sie sich jedoch derzeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. (↪ SZ, 28.12.)


Gegen die drohende Einstufung der gesamten AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall der Verfassungsschutzbehörden will die Partei „mit allen demokratischen und juristischen Mitteln“ vorgehen und „notfalls“ vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das kündigte der aus Sachsen stammende Parteivorsitzende Tino Chrupalla in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung an. Die AfD sei „keine extremistische Partei“, es gebe stattdessen eine „Diffamierungsstrategie“ und Versuche der „Zersetzung“ mit dem Ziel, „die AfD in die rechtsextreme Ecke zu stellen“ und „innerparteilichen Unfrieden“ zu stiften. Gefragt nach dem völkisch-nationalistischen Flügel sagte Chrupalla, dass es diese Strömung nicht mehr gebe, „auch inoffiziell nicht“. (↪ NZZ, 29.12.)


Vor dem Oberverwaltungsgericht von Schleswig-Holstein ist der dortige Landesverband der AfD mit einem Eilantrag gescheitert, in Neumünster einen Landesparteitag durchführen zu dürfen. Ein solches Treffen, bei dem die Landesspitze neu gewählt werden soll, war für November vorgesehen gewesen. Es musste aber kurzfristig abgesagt werden, weil eine strenge Teilnahmebegrenzung verfügt worden war. Um diese Limitierung zu umgehen, beantragte die Partei nun einstweiligen Rechtsschutz in einem sogenannten Normenkontrollverfahren. Ziel war es, das nach der Corona-Schutzverordnung des Bundeslandes bis zum 10. Januar geltende Veranstaltungsverbot außer Vollzug zu setzen. Doch das Gericht verwarf den Antrag schon aus formalen Gründen, weil die Partei nicht antragsbefugt ist. So habe die AfD nicht geltend gemacht, durch die Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein – denn im Zeitrahmen der aktuellen Schutzverordnung plant sie gar keinen Parteitag. Der Beschluss des Gerichts ist unanfechtbar (↪ SZ, 29.12.)


Die AfD hat im Jahr 2020 eine Großspende über 100.000 Euro erhalten. Das geht aus einer Veröffentlichung des Bundestags hervor, der Einzelzuwendungen von über 50.000 Euro veröffentlicht. Demnach bedachte der Berliner Immobilienunternehmer Christian Krawinkel die Partei im Februar. Bekannt geworden war das bereits im Frühjahr, demnach floss das Geld an den thüringischen Landesverband. Es handelte sich um die größte Einzelzuwendung an die Partei seit vier Jahren. Im Vorjahr hatte die AfD keine Großspenden erhalten, im Jahr 2020 war sie neben der CDU die einzige Partei, die keinen drastischen Spendeneinbruch verzeichnen musste. (↪ RND, 30.12.)


Weil er sich durch Äußerungen in Presseinterviews in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sieht, klagt Reiner Osbild, Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Ostfriesland, vor dem Hamburger Landgericht auf Unterlassung gegen die mit dem Nationalen Integrationspreis ausgezeichnete Kurdin Bjeen Alhassan. Sie hatte zuvor über Probleme mit ihrer Masterarbeit an der Universität Emden berichtet. Zuständiger Betreuer war Osbild, der dort als Professor lehrt und von dem Alhassan behauptet, dass er sie respektlos behandelt und absichtlich schlecht benotet habe. (↪ TAZ, 30.12.)


Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag wurden bei Parlamentsdebatten insgesamt 38 Ordnungsrufe gegen Abgeordnete ausgesprochen. Das sind so viele wie in keiner anderen Wahlperiode in den vergangenen drei Jahrzehnten, berichtet die Augsburger Allgemeine, der eine aktuelle Aufstellung der Bundestagsverwaltung vorliegt. Allein im vergangenen Jahr gab es demnach 20 Ordnungsrufe, mehr als in den vier vorausgegangenen Wahlperioden zusammen. Zwei Drittel der Ermahnungen ergingen an AfD-Mitglieder, oft wegen Beleidigungen, zuletzt auch wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht im Plenarsaal. Besonders häufig gerügt wird die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch, „die beispielsweise den Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Marco Buschmann als ‚Terroristen‘ beleidigte.“ (↪ Augsburger Allgemeine, 03.01.)

Blauzone

Die Freien Wähler (FW) sind offenbar als Landespartei in Sachsen gescheitert. Am Mittwoch gaben drei der vier Vorstandsmitglieder ihren Rück- und Austritt bekannt, darunter mit Andreas Hofmann („DJ Happy Vibes“) ein bekannter Pegida-Sympathisant, der sich nun komplett aus der Politik zurückziehen will. Die Abtrünnigen berichten in einer gemeinsamen Erklärung von Verleumdungen, Beleidigungen und einem „Durchregieren von oben“, wodurch die Arbeit des Vorstands behindert worden sei. „Statt gemeinsam an einem Strang zu ziehen, wurden die Freien Wähler Sachsen systematisch zerlegt“, heißt es weiter. Zuvor waren unter anderem bereits der Landesvorsitzende Steffen Große sowie die gescheiterte Spitzenkandidatin zur Landtagswahl, die Polizeibeamtin Cathleen Martin, ausgetreten. Anlass war ein Streit mit der Bundespartei, der Große abgesetzt und gegen ihn eine mehrjährige Ämtersperre verhangen hat. Im Raum stand der Vorwurf, dass in Sachsen Verbindungen mit der rechten Szene geduldet werden. Dabei geht es um die Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verein „Freie Wähler“, dem Große weiterhin vorsitzt. In der Landeshauptstadt engagieren sich unter anderem die neurechte Buchhändlerin Susanne Dagen und der Szeneanwalt Frank Hannig für diesen Verein. Im Landesverband bleibt Denise Wendt als einziges Vorstandsmitglied zurück, sie ist zugleich stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei. Wendt will die FW-Arbeit in Sachsen nach eigenen Angaben fortsetzen. Doch das könnte schwierig werden: Inzwischen sollen sich auch drei Kreisverbände aufgelöst haben. (↪ Sächsische, 30.12., ↪ L-IZ, 01.01.)

Hintergrund

Unter Beteiligung der AfD haben Leugner*innen der Corona-Pandemie aus dem Umfeld der sogenannten Querdenken-Bewegung den Verein „Polizisten für Aufklärung“ gegründet. Mit der neuen Initiative wolle man versuchen, „Polizisten, Soldaten und vergleichbare andere Beschäftige über die aktuellen Herausforderungen und Missstände in unserer Gesellschaft aufzuklären“, heißt es auf der Website. Dort wird Vicky Richter als Pressesprecherin vorgestellt. Sie ist Mitarbeiterin des bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Markus Bayerbach. (↪ Endstation Rechts, 28.12.)