Die sächsische Landespartei galt lange als ein vergleichsweise stabiler Verband. Damit ist es plötzlich vorbei: Nicole Klinger hat überraschend ihren Beisitzerposten im Vorstand niedergelegt und die AfD verlassen. Die Rede ist von „privaten Gründen“ – und gegenseitigem Misstrauen.
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Erster namhafter Abgang seit langem
Ärger im AfD-Landesvorstand: Die Leipzigerin Nicole Klinger hat am Montag überraschend ihren Beisitzerposten niedergelegt und ihr Parteibuch abgegeben. Das berichtet heute die Freie Presse. Nach AfD-Angaben bedauere man die Entscheidung, die Rede ist von „privaten Gründen“. Klinger selbst will ihre Entscheidung nicht kommentieren. Sie war am Montagabend zu einer Sitzung des Landesvorstands erwartet worden, ist dort aber nicht erschienen. Stattdessen informierte sie schriftlich über den unerwarteten Rückzug. Die Entscheidung fiel offenbar kurzfristig, denn eigentlich sollte die ledige und kinderlose Klinger am kommenden Freital in Görlitz für die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung einen Vortrag über „Frühsexualisierung“ und Erziehungsfragen halten.
Es ist der erste Abgang einer sächsischen Landesfunktionärin seit längerer Zeit. Vorausgegangen sein soll ein Streit im Vorstand, in dessen Auftrag die 28-Jährige eine Werbekampagne vorbereitet hat, zugeschnitten speziell auf Jugendliche. Damit wollte das Führungsgremium rückläufige Aktivitäten der Jungen Alternative kompensieren, der Klinger nicht angehörte. Für die Umsetzung spannte sie eine professionelle Agentur ein. Daraufhin soll es Bedenken gegeben haben, ob Klinger ihren Aufgaben gewachsen ist – da sie durch eine unabgesprochene Beauftragung hohe Kosten verursacht haben könnte. Die Agentur räumte die Bedenken gegenüber der Partei inzwischen aus, doch die Funktionärin zog kurz vor der Aussprache die Reißleine. Wie idas erfuhr, soll sie sich kontrolliert und bevormundet gefühlt haben. Schon früher gab es Hinweise auf ein wachsendes Misstrauen unter den Führungskräften der Landespartei.
Im 13-köpfigen Vorstand war Klinger neben den Landtagsabgeordneten Martina Jost und Doreen Schwietzer eine von nur drei Frauen und zudem das mit Abstand jüngste Mitglied. Ihr Posten wird zunächst unbesetzt bleiben, ein künftiger Landesparteitag wird über die Nachfolge entscheiden. Beisitzerin war sie beim vergangenen Parteitag in Weinböhla geworden. Der fand Ende Februar und damit vor nicht einmal fünf Monaten statt. Ihr selbsterklärtes Ziel war es damals, „junge Menschen für unsere Partei zu begeistern“, die sich „bisher durch die AfD eventuell nicht ausreichend repräsentiert gefühlt haben“. In ihrer Vorstellungsrede betonte sie das „Vertrauen in unsere Partei“ und beklagte, dass „Deutschland kein demokratisches Land mehr“ sei.
Klinger hatte kaum Bedeutung in der Partei
Zu dem Zeitpunkt war Nicole Klinger, genannt „Nene“, in der Öffentlichkeit und selbst in der AfD kaum bekannt. Anfang September vergangenen Jahres, kurz nach der Landtagswahl, war sie Teilnehmerin eines Streitgesprächs der Wochenzeitung Die Zeit. Sie diskutierte damals mit dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und mimte eine enttäusche Konservative, die mangels besserer Alternativen nur noch AfD wählen könne. Es war ein PR-Coup der Partei. Dass sie Mitglied war, wurde nicht erwähnt. Zu weiteren Details ihrer Biografie hat sie offenkundig falsche Angaben gemacht.
Kurz darauf spielte sie in einem Video mit, das der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse – zuletzt auch einer von Klingers Vorstandskollegen – verbreitete. Darin verglich sie die „Fridays for Future“-Proteste mit der nationalsozialistischen Hitler-Jugend und „judenhassende Kindern in Nahost“. Der kurze Clip enthielt keinen direkten Hinweis auf die Partei. Im Abspann wurde stattdessen auf das „Europäische Insititut für Klima und Energie“ (EIKE) hingewiesen, eine Lobbyorganisation, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Für die AfD trat Klinger, die in Leipzig aktuell eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin absolviert, bis zuletzt kaum vernehmbar in Erscheinung. Bei einigen Kreisverbänden hielt sie interne Vorträge zu Themen wie dem „Genderwahn der Grünen und Linken“ und zum Feminismus, den sie als „Männerhass“ hinstellt.
Anfang April war sie als Moderatorin eines Live-Talk-Formats der AfD-Landtagsfraktion zu sehen, an der Seite des Zwickauers Jonas Dünzel, der kürzlich bekanntgab, sich als Bundesvorsitzender der Jungen Alternative zu bewerben. Missmut war damals noch nicht zu bemerken, auch inhaltliche Spannungen bestanden nicht. Vielmehr unterzeichnete Klinger die Flügel-nahe Dresdner Erklärung – genau wie ihre Mutter, die Psychotherapeutin Tatjana Klinger. Auch sie ist AfD-Funktionärin und im Leipziger Stadtvorstand für die Organisation von Veranstaltungen zuständig. Dem dortigen Kreisverband gehörte auch Nicole Klinger an.