Zur letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause wird der Sächsische Landtag am Mittwoch und Donnerstag zusammentreten. Nachdem sich die Abgeordneten intensiv mit der Pandemie auseinandergesetzt haben, stehen inzwischen andere Themen im Vordergrund, auch für die AfD-Fraktion: Sie will in dieser Woche unter anderem politische Bildung aus Lehrplänen streichen lassen, Denkmäler vor antirassistischen „Bilderstürmern“ retten und die Landesverfassung umschreiben.
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Politische Bildung aus Lehrplänen streichen?
Corona steht nicht mehr ganz oben auf der Agenda, selbst für die AfD scheint das Thema weitgehend erledigt zu sein. Es kommt nur noch indirekt vor: Gegen Ende des zweiten Sitzungstages steht ein Antrag auf der Tagesordnung, der sich mit den Folgen von Unterrichtsausfällen und der vorübergehenden Aussetzung der Schulpflicht befasst. Der Landtag soll dazu erklären, dass die entstandenen Lücken in der Wissens- und Kompetenzvermittlung „nicht vollständig kompensierbar“ sind. Vor allem beim Mathematikunterricht und in naturwissenschaftlichen Fächern seien die Auswirkungen besonders dramatisch, von Schäden für die Wirtschaft ist in dem Antrag die Rede und von einem „weiteren Absinken des allgemeinen Bildungsniveaus“.
Die Lösung der AfD klingt einfach. Ab dem nächsten Schuljahr soll es mehr Unterrichtsstunden in Mathematik, in naturwissenschaftlichen Fächern und auch im Sport geben. Gespart werden soll dagegen an einer anderen Stelle, der politischen Bildung. Die Begründung zeigt allerdings, dass es der Fraktion kaum darum geht, die Folgen der Pandemie auszugleichen. Attackiert wird nämlich eine bereits im vergangenen Jahr und damit unabhängig von den jüngsten Entwicklungen vorgenommene Umstellung von Lehrplänen. Darin opfere man „wichtige wirtschaftsrelevante Fächer zugunsten umstrittener ideeller Zielstellungen“.
So versteht es jedenfalls die AfD. Geht es nach ihr, muss die politische Bildung, die „mittlerweile alle Fächer in indoktrinierender Weise durchsetzt“, an sächsischen Schulen mindestens stark zurückgefahren, wenn nicht ganz abgeschafft werden. Wie künftige Lehrpläne dann auszusehen hätten, erläutert der Antrag nicht. Er führt auch nicht aus, warum bestimmte Fächer und insbesondere Mathematik stärker in den Vordergrund rücken sollen, andere aber nicht. Die AfD stützt sich auf „Erfahrungen aus den deutschen Kurzschuljahren in den 1960er Jahren“ sowie auf aktuelle Prognosen. Diese beziehen sich allerdings auf Schulen in den USA.
„Bildersturm“ als Schreckgespenst
Dorthin blickt die AfD bereits am Mittwoch, wenn sie im Plenum über die „Black Lives Matter“-Proteste diskutieren will. Dazu liegt ein Antrag vor, mit dem die Fraktion der „Geschichtsvergessenheit entgegentreten“ möchte. Sie sorgt sich insbesondere, dass „Ehrenmonumente, Bildnisse, Statuen, Porträtbüsten“ und sonstige Kulturdenkmale einem „ideologisch motivierten Bildersturm“ zum Opfer fallen könnten. Der Landtag soll sich daher schütztend und „ungeachtet nachträglicher Bewertungen“ vor das gesamte „geschichtliche Erbe“ stellen, das im öffentlichen Raum zu sehen ist.
Abrisse und selbst Umgestaltungen seien dagegen schon aus „aus Gründen des Denkmalschutzes kein adäquates Mittel“ der historischen Auseinandersetzung. Im Begründungsteil wird die antirassistische und antikoloniale Kritik an bestimmten Darstellungen sogar unmittelbar mit „Gewaltentladungen“ und „Zerstörungswut“ in Verbindung gebracht. Sie treffe „selbst bislang unangefochtene Persönlichkeiten“ und große Staatsmänner wie Otto von Bismarck, klagt die Fraktion. Ziel von „selbsternannten Aktivisten“ sei letztlich die Umdeutung der „abendländischen Kultur“, gar eine Umschreibung sämtlicher Geschichte, „die mit einer angeblichen Erinnerungskultur der ‚alten weißen Männer‘ bricht.“
Der Antrag ist aus mehreren Gründen erstaunlich. Zum einen hat Bismarck mit dem, was die radikale Rechte gemeinhin unter „Abendland“ versteht, wenig zu tun. Dem steht sein Kulturkampf gegen den Katholizismus entgegen und die Tatsache, dass seine „kleindeutsche“ Reichsgründung mehr einen Nationalstaat westlichen Typs schuf, statt an das mittelalterliche Imperium anzuschließen, von dem her die Abendlandidee ihre Reichsvision bezieht. Zum anderen, und das ist noch viel wichtiger, findet die AfD für bedrohte Denkmale kaum ein Beispiel in Deutschland – und kein einziges in Sachsen.
Einziges Beispiel: ein Straßenname
Stattdessen geht es im Kleingedruckten des Antrags plötzlich um die Umbenennung der Arndtstraße in der Leipziger Südvorstadt, die der Stadtrat beschlossen hat. Das habe laut AfD „überregionales Aufsehen“ erregt, neben der Regionalpresse berichtete auch die Junge Freiheit. Als der Stadtrat darüber diskutierte, verteidigte für die AfD Siegbert Droese den Namensgeber Ernst Moritz Arndt (1769–1860) „als Künstler und Schriftsteller“, dessen Wirken „im Kontext der jeweiligen Zeit bewertet“ werden müsse. Im Kontext seiner Zeit war Arndt jedoch ein Wegbereiter des modernen Nationalismus und Antisemitismus. Seine Schriften inspirierten die Völkische Bewegung, die Nationalsozialisten stellten ihn in ihre ideologische Ahnenreihe.
Die AfD-Landtagsfraktion ficht das nicht an, sie betont vielmehr ihre „Überzeugung, dass das kulturelle Erbe der deutschen Nation nicht verhandelbar“ sei und daher alles bleiben solle, wie es ist. Indes besteht über den Inhalt dieses „Erbes“ keine Klarheit, ist die Bedeutung von „deutsch“ und „Nation“ stets verhandelt worden, weil so etwas wie ein authentischer Ur-Zustand, den man eindeutig abbilden könnte, nicht existiert. Die AfD führt diese Verhandlung bei anderen Gelegenheiten gerne, sogar mit einiger Vehemenz. Das zeigt Björn Höckes Rede Anfang 2017 in Dresden, als er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ und damit eine grundlegende Umwertung des sogenannten Erbes einforderte. Alexander Gauland wandte diesen Ansatz wenig später auf den Nationalsozialismus an, als er ihn zu einem „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte banalisierte.
Es ist nicht ganz klar, ob ein Straßenschild in der Leipziger Südvorstadt Teil des hehren Erbes ist, das unbedingt zu bewahren sei; die Grenzen von Kultur und Kitsch sind offenbar fließend. Klar ist aber, dass die AfD in einem anderen Fall ohne Weiteres bereit war, eine Straße umzubenennen: Im Hebst vegangenen Jahres beschloss der Stadtrat in Heidenau (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mit knapper Mehrheit, die örtliche Ernst-Thälmann-Straße umzubenennen. Den Vorschlag, den Namen des Antifaschisten zu tilgen, brachte das AfD-Ratsmitglied Daniel Barthel ein, der lange in der Neonaziszene und im Umfeld der verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ aktiv war. Der Beschluss wurde letztlich nicht umgesetzt, weill Anwohner*innen aufbegehrten.
Alter Gesetzentwurf mit neuem Namen
Die dritte große Debatte, die man in dieser Woche im Landtag auf Wunsch der AfD führen muss, dreht sich um einen umfangreichen Gesetzentwurf der Fraktion, mit dem Instrumente der direkten Demokratie gestärkt werden sollen. Unter anderem will man die Quoren für Volksanträge, Volksbegehren und Volksentscheide deutlich absenken. Neu hinzu kommen sollen „qualifizierte Massenpetitionen“, mit denen bestimmte Gesetzesinitiativen im Landtag angeregt werden können und die Initiator*innen die Möglichkeit zur Anhörung erhalten. Dafür sollen nach den Vorstellungen der AfD bereits die Unterschriften von einem halben Prozent der Wahlberechtigten genügen, knapp 17.000 wären das in Sachsen.
Offenbar schielt man hier auf die ins Kraut schießenden Onlinepetitionen und auf die eigene Anti-GEZ-Kampagne („Genug GEZahlt!“), für die man bei der Partei bereits seit längerer Zeit Unterschriften sammelt, zuletzt auch bei einer Reihe von Informationsständen. Ziel ist ein Volksentscheid. Doch um ihn auszulösen, müssten sich nach derzeitiger Rechtslage fast eine halbe Million Menschen anschließen, ein wenig aussichtsreiches Unterfangen. Damit die Hürden künftig niedriger liegen, will die AfD mit ihrem Gesetzentwurf an insgesamt acht Stellen und teils sehr tief in die Landesverfassung eingreifen.
Auch andere Fraktionen hatten in der Vergangenheit und lange vor der AfD angeregt, die direkte Demokratie in Sachsen zu stärken. Allerdings ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass jetzt die Rechtsfraktion zum Zuge kommt: Es handelt sich um die erste Lesung des Gesetzentwurfs, den das Plenum zur weiteren Erörterung zunächst in den Rechtsausschuss überweisen wird. Dort darf man sich dann die Augen reiben, denn einen weitgehend identischen Entwurf hatte die AfD vor vier Jahren schon einmal eingereicht. Der Ausschuss empfahl dem Landtag damals die Ablehnung, nachdem mehrere Sachverständige starke Bedenken angemeldet hatten. Viel ist seitdem nicht passiert. Der Titel des AfD-Projekts lautete ursprünglich „Weiterentwicklung der sachunmittelbaren Demokratie“. Statt von einer Weiterentwicklung ist jetzt von „Erweiterung“ die Rede.
Sommerpause steht an
Hoch hergehen könnte es in dieser Woche auch, wenn ein Antrag der Koalitionsfraktionen debattiert und zur Abstimmung gestellt wird, bis Ende des Jahres ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen vorzulegen. Von dem Thema wird sich die AfD angesprochen fühlen angesichts der kürzlich aufgeworfenen Frage, inwieweit der sächsische Verfassungsschutz künftig die Partei und einzelne Repräsentant*innen beobachten will und darf.
Das wird sich nach der jetzt anbrechenden parlamentarischen Sommerpause abzeichnen, einer längeren sitzungsfreien Zeit. Die nächste Plenarsitzung steht erst für Ende September an. Dann wird sich außerdem zeigen, was aus den Wahlprüfungsbeschwerden wird, die durch den AfD-Landesverband und mehrere Kandidierende der vergangenen Landtagswahl eingelegt worden sind. Ihnen zufolge war die Kürzung der Landesliste im Vorfeld der Wahl unzulässig, sie wollen eine Wahlwiederholung erzwingen oder wenigstens ein zusätzliches Mandat zuerkannt bekommen. Eine interne Vorprüfung gab es bereits. Die AfD hat demnach schlechte Karten.