Der Landtag ist zurück im Normalmodus, am Mittwoch und Donnerstag trat das Plenum zu einer Doppelsitzung in voller Stärke zusammen. Die AfD nutzte beide Tage, um Forderungen der „Corona-Proteste“ ins Parlament zu hieven. Erfolg hatte die rechte Fraktion damit nicht. Sie musste viel Spott ertragen – auch wegen einer bizarren Rede ihres Abgeordneten Norbert Mayer.
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Mundschutzpflicht bleibt
Die erste Niederlage hat die AfD am Mittwochvormittag schon eingefahren, bevor das offizielle Programm begann. Die Fraktion wollte eine der plakativsten Forderungen der sogenannten Corona-Proteste im Parlament verhandeln und die derzeit geltende Pflicht kippen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Handelsgeschäften eine Schutzmaske zu tragen. Grundlage dafür war ein Antrag, dem zufolge eine Schutzwirkung gar nicht belegt sei.
Doch mit ihrer Initiative war die Fraktion zu spät dran, um es auf die Tagesordnung zu schaffen. Rettender Strohhalm in solchen Fällen ist eine Abstimmung über die Dringlichkeit des Anliegens. „Unabdingbar“ sei das, bemerkte der AfD-Abgeordnete Jan-Oliver Zwerg. Doch an dieser eher dürren Begründung zweifelten die anderen Fraktionen. Die CDU verwies darauf, dass wissenschaftliche Studien durchaus den Nutzen von Masken unterstreichen. Sarah Buddeberg von den LINKEN erinnerte außerdem daran, dass die AfD-Abgeordneten „in den letzten Wochen bei fast keiner Beratung ohne Mundschutz“ zu sehen waren, zuletzt sogar in schwarz-rot-goldenem Einheitslook.
Das war diesmal anders, die AfD-Fraktion erschien durchweg ungeschützt, gegen die ausdrückliche Bitte des Landtagspräsidenten. Wenig überraschend: Die Mehrheit des Plenums stimmte gegen die Dringlichkeit und räumte das Thema damit ab. Gut in Erinnerung dürfte vielen noch gewesen sein, dass die AfD im März einen ähnlichen Antrag eingebracht hatte – damals allerdings mit der gegenteiligen Forderung, möglichst weitreichende Schritte zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen und die Bevölkerung flächendeckend mit Mund-Nasen-Schutz auszustatten.
„Absurde Angstdebatte“
Einige Stunden später war die Pandemie wieder Thema, diesmal anhand eines anderen, immerhin rechtzeitig eingereichten AfD-Antrags, der sich gegen die Einführung einer Corona-Impfpflicht ausspricht. Das ist ein weiterer Schlager der jüngsten Straßenproteste. Das Thema hatte schon vorab für Irritationen gesorgt, weil eine solche Impfpflicht von niemandem gefordert und durch die Landesregierung sogar ausgeschlossen wird. Ohnehin fehlt es an einem Impfstoff.
Trotzdem werde eine erzwungene Verabreichung „durch die Hintertür“ geplant, behauptete der AfD-Abgeordnete Thomas Prantl. Man wolle das ganze Land mit einem unzureichend getesteten Arzneimittel „zwangsbeglücken“. Prantl sprach gar von einer „Erpressung“ der Bevölkerung und echauffierte sich schließlich unter einigem Gelächter, dass eine Impfpflicht überhaupt diskutiert wird. „Wir führen hier so eine Debatte gar nicht“, erwiderte der CDU-Abgeordnete Alexander Dierks. Das mache ausschließlich die AfD, die nun sogar ein Thema erfinde, um „irgendeine absurde Angstdebatte“ zu lancieren. Ähnlich ließ sich Susanne Schaper (LINKE) ein: „Die AfD selbst ist es, die die Menschen verunsichert, indem sie jeden Quatsch in parlamentarische Initiativen gießt.“
Sozialministerin Petra Köpping (SPD) bekräftigte gegenüber den Abgeordneten, die das überdies bereits schriftlich haben, nochmals, dass eine Impfpflicht nicht ansteht. Eine breite Mehrheit des Parlaments lehnte den AfD-Antrag daraufhin ab. Kaum war dieser Tagesordnungspunkt abgehakt, da sandte die AfD-Fraktion eine Pressemitteilung aus. Im Namen des Abgeordneten Prantl ist darin unverändert die Rede von einer angeblich geplanten „Corona-Impfpflicht durch die Hintertür“ und vor einem womöglich schädlichen Impfstoff.
Schweiß, Brötchen und Papier
Um die Pandemie ging es auch am Donnerstag, dem zweiten Plenartag. „Wer wird gehört, Herr Ministerpräsident?“, fragte die Linksfraktion in einem Debattenblock, der sich um Gesprächsversuche und Demonstrationsvisiten des CDU-Landeschefs drehen sollte. Michael Kretschmer hatte sich in Dresden und Pirna persönlich mit Pandemie-Leugner*innen auseinandergesetzt sowie jüngst den rechtsradikalen Schriftsteller Jörg Bernig zum Gespräch empfangen. Doch bei Protesten gegen das neue sächsische Polizeigesetz, bei den „Unteilbar“-Aktionen und den großen „Black Lives Matter“-Demos war Kretschmer nicht zu sehen. Fischt der Ministerpräsident also lieber am rechten Rand?
Das war eine Frage, die selbst Redner von SPD und Grünen, also zwei der drei Regierungsfraktionen, berechtigt fanden. Gesprächsbereitschaft sei gut, es komme aber darauf an, „mit wem man über welche Themen spricht und mit wem man das Gespräch lieber nicht sucht“, sagte die LINKEN-Innenpolitikerin Kerstin Köditz. Sie stellte heraus, dass bei den Protesten gegen die Pandemie-Eindämmung abwegige Verschwörungserzählungen und antisemitische Standpunkte verbreiten werden, auch seitens der AfD. Deren Abgeordneter Sebastian Wippel räumte das später überraschend ein. Das bedeute aber nicht, „dass das die Meinung der Gesamtpartei ist.“ Sein Fraktionskollege Joachim Keiler kochte derweil vor Wut über, bis ihm nach mehreren Zwischenrufen eine Ordnungsmaßnahme angedroht wurde. Er hatte quer durch den Raum die Behauptung gebrüllt, dass ein Grünen-Abgeordneter einen Baseballschläger besitze.
Als dann, immer noch zum gleichen Thema, der AfD-Abgeordnete Norbert Mayer ans Mikrofon trat, bekam der Landtag eine der skurrilsten Reden seit langem zu hören. Sie begann so:
„Das Volk, das Volk leidet unter der Gängelei. Das Volk will für sich selbst sorgen, das Volk will Freiheit. Wenn ich zum Bäcker gehe, dann frage ich die Verkäuferin dort: Wie fühlen Sie sich unter der Maske? Und die erzählt mir, dass sie dort sehr schwitzen. Hinten in der Bäckerei, dort ist der Ofen, der frische Brötchen macht. Dort ist es sehr schön warm und wird immer wärmer, je mehr Sommer wird. Die Frauen, die schwitzen.“
Das Präsidium unterbrach Mayer und forderte ihn auf, sich zum Thema der Debatte zu äußern. Um das zu erleichtern, wurde ihm der komplette Titel noch einmal vorgelesen. Mayer nickte, als hätte er verstanden, worum es geht. Dann fuhr er fort:
„Sie wollen Mitte sein, Herr Ministerpräsident. Wo ist Mitte? Das kommt ja aus der Geometrie. Der Begriff Mitte kommt aus der Geometrie. Nehmen Sie mal gedanklich ein Blatt Papier. Falten Sie das mal längs, mal quer, und dann machen Sie mal die Falten ein biss’l dicker und dann machen Sie das Blatt auf. Dann sehen Sie, wo sich die Linien kreuzen. In der Mitte, das ist Mitte. Gleicher Abstand zum Rand!“
Das funktioniert in Wirklichkeit nur, wenn das Blatt quadratisch ist. Das Präsidium ermahnte den Abgeordneten abermals, zum Thema zurückzukehren, sonst müsse man ihm das Wort entziehen. Mayer nickte wieder, setzte nochmal neu an. Er wollte gerade auf eine sicherlich erhellende „Geschichte über König Salomon“ zu sprechen kommen, als seine Redezeit auch schon vorüber war.
Kein Extra-Ausschuss für die AfD
Kurz vor dem Ende des zweiten Sitzungstages wollte es die AfD dann noch ein letztes Mal mit dem Corona-Thema probieren. Der Versuch endete, wie alles begann: mit einer deutlichen Abfuhr. Die Fraktion wollte das Plenum überzeugen, einen speziellen Ausschuss namens „Corona-Krise“ einzurichten, in dem „alle relevanten Themen und Initiativen“ zur Pandemie zusammengeführt werden. AfD-Chef Jörg Urban begründete das damit, dass die parlamentarische Arbeit in den letzten Wochen nur eingeschränkt funktioniert habe. Die Regierung habe dem Landtag „über Wochen und Monate“ wichtige Informationen vorenthalten.
Wäre die Opposition – Urban meint die AfD – eingebunden worden, hätten „Fehlentscheidungen“ wie etwa „das Hü und Hott mit der Schutzmaskenpflicht“ vermieden werden können. Jetzt seien gar „die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie“ in Gefahr geraten, behauptete er. Sein Kollege Jan-Oliver Zwerg setzte wenig später mit der Behauptung nach, die Regierung habe zur Eindämmung der Pandemie „irgendwelche Vorgaben erfunden“. Das wäre zu vermeiden gewesen, hätte man die AfD mit ins Boot genommen.
Diese Vorwürfe seien „absolut unbegründet“, konterte der CDU-Abgeordnete Stephan Meyer. Auch in der Krise sei der Landtag funktionsfähig geblieben, befasse sich in den jeweiligen Fachausschüssen mit den Folgen der Pandemie „in allen Facetten“. Ein Extra-Ausschuss bringe daher „keinen Mehrwert“, schloss sich Valentin Lippmann (Grüne) an. Er vermutete ein „schlechtes Ablenkungsmanöver der AfD von der eigenen Unfähigkeit und Unverantwortlichkeit.“ Sabine Friedel (SPD) bekräftigte das und rekapitulierte dafür die vergangenen Krisenwochen im Landtag. Es habe regelmäßige Treffen der Fraktionsspitzen mit dem Landtagspräsidenten gegeben, die AfD sei immer voll eingebunden gewesen und könne jederzeit ihre Themen in die regulären Ausschüsse tragen. Dort allerdings, wo es keine Zuschauer*innen gibt, seien die AfD-Aktivitäten „ziemlich auf dem Nullpunkt“.
Fraktion droht mit Untersuchungsausschuss
Klares Ergebnis der Abstimmung: Einen zusätzlichen Ausschuss wird es nicht geben. Womöglich wird sich die AfD damit aber nicht abfinden. Vor einigen Tagen diktierte die Fraktion der Freien Presse in den Block, dass man notfalls einen Untersuchungsausschuss erzwingen werde, wenn der Landtag nicht mitzieht. Die Forderung nach einem solchen Gremium zirkuliert seit einer Weile bei den AfD-nahen Protesten gegen die Eindämmung der Pandemie und schaffte es nun auch in die Zeitung. Das war, ganz ohne Zweifel, ein großer PR-Erfolg.
Doch er könnte sich als Luftnummer entpuppen. Die AfD-Fraktion hat bereits einen anderen Untersuchungsausschuss eingerichtet und ist damit „gnadenlos überfordert“, wie am Donnerstag zu hören war. Die Einsetzung könnte die AfD-Fraktion, wenn sie wollte, ganz ohne fremde Hilfe bewerkstelligen, sie hätte dann sogar Zugriff auf den Ausschussvorsitz. Doch bisher liegt dafür kein Antrag vor. Die anderen Fraktionen, so ist reihum zu hören, fürchten das auch nicht. Denn ein Untersuchungsausschuss, da ist das Gesetz eindeutig, kann nur Vorgänge untersuchen, die abgeschlossen sind.
Das Krisenmanagement in der Pandemie könnte folglich erst dann untersucht werden, wenn die Krise vorüber ist. Nur die AfD glaubt, dass es schon so weit ist. Ihre Redner*innen sprachen daher in dieser Woche, wo immer möglich, von der „sogenannten“ Pandemie.