Angst vor der Spritze

Die sächsische AfD bereitet eine Phantomdebatte im Landtag vor: Bei der nächsten Plenarsitzung will sich die Fraktion gegen eine Corona-Impfpflicht aussprechen, die gar niemand fordert. Argumentiert wird unter anderem mit der Heinsberg-Studie, die man jedoch nicht gelesen hat.

Selbst gemachte Verunsicherung

Erstmals nach längerer Zeit wird der Sächsische Landtag in zwei Wochen wieder unter Normalbedingungen zusammentreten. Für das Juni-Plenum sind zwei volle Sitzungstage eingeplant, mit umfangreicher Tagesordnung und sämtlichen Abgeordneten. Zuletzt war das Plenarprogramm stark abgespeckt und die Zahl der Teilnehmenden reduziert worden, um die Infektionsgefahr zu bannen. Die Pandemie wird das Parlament aber weiter intensiv beschäftigen. Dafür sorgt auch die AfD-Fraktion, und zwar auf ungewöhnliche Weise: Sie will einen Antrag einbringen, der sich gegen eine „Corona-Impfpflicht“ ausspricht – die in der Landespolitik aber niemand fordert.

Mit ihrem Antrag („Bevölkerung schützen und Freiheit wahren!“) will die AfD das Parlament dazu bringen, eine etwaige Impfpflicht für „unverhältnismäßig“ zu erklären und sich gegen eine „Absenkung der Zulassungsstandards“ für einen Impfstoff auszusprechen. In der bereits eingereichten Drucksache heißt es weiter, dass die Bevölkerung „nicht weiter verunsichert werden darf, indem über eine mögliche SARS-CoV-2-Impfpflicht oder die Nötigung zur Impfung“ debattiert wird. Tatsächlich ist die AfD die einzige Parlamentspartei, die das Thema weiter debattieren und es nun sogar auf der großen Landtagsbühne austragen will.

„Ohne ausreichende Tests“?

Es wird eine Phantomdebatte werden. Bereits Anfang Mai schloss Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine Impfpflicht kategorisch aus, eine Versicherung, die er seitdem noch mehrfach wiederholt hat. Ungeachtet dessen warnte der AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban damals bereits vor einer „Impfpflicht durch die Hintertür“, von der bislang nichts zu sehen ist. In einer Pressemitteilung mutmaßte er zudem, dass ein minderwertiger Impfstoff verabreicht werden soll: „Wie können die Bürger einem Impfstoff vertrauen, der im Schnellverfahren ohne ausreichende Tests der Nebenwirkungen auf dem Markt gebracht wurde?“

Auch das ist eine Verunsicherung, die erst durch die AfD geschaffen wurde. Die Zulassungsverfahren für neue Impfsotffe sind gesetztlich strikt geregelt und wurden im Hinblick auf die inzwischen zahlreichen Corona-Impfstoffkandidaten keineswegs aufgeweicht. Aufwändige Tests, die auch Nebenwirkungen in Betracht ziehen, sind damit obligatorisch. Allerdings sollen die Zulassungsbehörden im Anschluss raschere Entscheidungen treffen. Nicht das klinische, sondern das bürokratische Verfahren soll schneller ablaufen. Für die AfD sollte das kein Problem sein, das Ziel des Bürokratieabbaus ist in ihrem Grundsatzprogramm verankert. Dort wird sogar eine Deregulierung „auf breiter Front“ gefordert – vor deren Auswirkungen die Fraktion jetzt aber warnt.

Studie nicht gelesen

Ein Impfstoff ist längst nicht in Sicht. Falls später eine Impfpflicht beabsichtigt wäre, könnte sie auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes in einzelnen Bundesländern durch die jeweilige Landesregierung angeordnet werden. Einer bundesweiten Lösung müsste erst der Bundesrat zustimmen. Der AfD-Antrag argumentiert nun damit, dass „die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht kritisch zu bewerten“ wäre und damit so oder so keine hinreichende Rechtsgrundlage hätte.

Dafür wird auf die angeblich „geringe Sterblichkeit“ verwiesen: „Unter Einbeziehung aller bisherigen Erkenntnisse liegt die tatsächliche Sterberate einer SARS-CoV-2-Infektion bei 0,37 Prozent“, heißt es in der Antragsbegründung. Die AfD verweist an dieser Stelle mit einer Fußnote auf einen Presseartikel über die sogenannte Heinsberg-Studie. Sie enthält jedoch im Original, das die AfD offenkundig nicht herangezogen hat, keine Abschätzung einer allgemeinen oder auch bundesweiten Sterberate. Über sie liegt unter Einbeziehung aller bisherigen Erkenntnisse schlicht kein hinreichender Aufschluss vor.