„Entsetzen und Unverständnis“: Bernigs Wahl stößt auf Kritik

Nach der Wahl des rechtsradikalen Schriftstellers Jörg Bernig zum Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul formiert sich Protest, Kulturschaffende aus der Region und ein großer Literaturverband distanzieren sich mit deutlichen Worten. Den Bürgermeister stört dagegen die Berichterstattung, die CDU sucht nach Ausflüchten: Sie hatte den Kandidaten gezielt lanciert – und der AfD einen Sieg geschenkt.

Bernig schürt „Hass in der Bevölkerung“

Das Echo auf die Wahl Jörg Bernigs ist deutlich. In einem offenen Brief äußern Kulturschaffende aus der Region „Entsetzen und Unverständnis“ über die Entscheidung, die am vergangenen Mittwoch im Radebeuler Stadtrat mit knapper Mehrheit gefallen ist. Man befürchte „fatale Folgen“ für die Stadt und ihr kulturelles Leben, heißt es in dem Schreiben, das durch den Verein Radebeuler Kultur initiiert und bislang von rund 120 Personen unterzeichnet wurde. Bernigs politische Äußerungen in den vergangenen Jahren würden Menschen „pauschal verurteilen“ sowie „Wut und Hass in der Bevölkerung“ schüren. Eine Sacharbeit sei mit ihm „nicht möglich“, ohnehin fehle ihm „jegliche fachliche Eignung als Kulturamtsleiter“.

Der Brief wurde auch durch mehrere Mitarbeiter*innen des Kulturamts unterschrieben, das Bernig künftig leiten soll. Aus der Verwaltung heraus waren frühzeitig Bedenken geäußert worden. Bereits Ende vergangener Woche hatten mehrere Träger*innen des Radebeuler Kunstpreises, mit dem vor einigen Jahren auch Bernig ausgezeichnet worden ist und für dessen Vergabe er künftig verantwortlich sein wird, Protest angekündigt – und die Rückgabe der Preise, sollte Bernig tatsächlich sein Amt antreten.

In einer ausführlichen Erklärung distanzierte sich heute außerdem das PEN-Zentrum Deutschland von Bernig, der seit 2005 Mitglied der renommierten Schriftsteller*innenvereinigung ist. Man wende sich „mit aller Schärfe gegen nationalistische Bewegungen, insbesondere gegen Positionen, wie sie AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen vertreten. Derartige politische Formationen stehen den Grundüberzeugungen des PEN – Freiheit, Vielfalt, Solidarität – diametral entgegen.“ Bernig wird daher der Austritt nahegelegt: Er möge überdenken, „inwieweit er seine Verpflichtung gegenüber der PEN-Charta wahrnehmen kann“, und gegebenenfalls „die notwendigen Konsequenzen“ ziehen.

CDU hielt Bernig gezielt im Rennen

Bernig, der seit mehreren Jahren extrem rechte Positionen vertritt und in Kreisen der sogenannten Neuen Rechten publiziert, ist am vergangenen Mittwoch in einer nichtöffentlichen Sitzung des Radebeuler Stadtrats überraschend gewählt worden. Auf die zuvor mehrfach öffentlich ausgeschriebene Stelle soll er sich ursprünglich selbst beworben haben, neben rund 50 weiteren Personen aus dem ganzen Bundesgebiet. Nach übereinstimmenden Informationen von MDR und DNN wurde er nach einer verwaltungsinternen Vorauswahl zunächst nicht weiter in Betracht gezogen.

Daraufhin soll jedoch Ulrich Reusch, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Stadtrat, Bernig in einer nichtöffentlichen Beratung des Ältestenrats wieder ins Spiel gebracht und dessen erneute Aufstellung bewirkt haben. Noch in der Vorauswahlphase soll zudem der Oberbürgermeister Bert Wendsche in den Personalpool eingegriffen und mehrere Bewerber*innen gestrichen haben. An Bernig störte er sich aber augenscheinlich nicht, offenbar ohne großes Zutun wurde ihm der Weg in die Schlussabstimmung gebahnt. Wendsche ist partelos, gehört im Stadtrat aber der CDU-Fraktion an. Die von ihm geleitete hauptamtliche Verwaltung präferierte eine andere Kandidatin mit erheblicher Berufserfahrung im Bereich des Kulturmanagements. Doch sie unterlag letztlich gegen Bernig.

Im Detail nachvollziehen lässt sich das Abstimmungsverhalten im Stadtrat nicht, die Wahl war geheim, Publikum ausgeschlossen. Anhand des Ergebnisses ist aber abzusehen, dass ein Großteil der Ratsmitglieder sowohl der CDU, als auch der AfD für Bernig votiert haben müssen. Im Anschluss erklärte Wendsche sein Einvernehmen mit dem Abstimmungsergebnis. Gegenüber DNN erklärte er, dass er seine Zustimmung nicht hätte verweigern dürfen, und verwies auf seine beamtenrechtliche Neutralitätspflicht. Am Freitag äußerte sich Wendsche offiziell in einer Pressemitteilung. Darin heißt es, er nehme die Entscheidung des Stadtrates „mit Respekt zur Kenntnis“. Zugleich rügt er, dass über die Wahl Bernigs „rechtswidrig bereits am 21.5.2020 umfänglich medial berichtet“ worden sei. Offiziell sollte darüber erst bei der kommenden Stadtratssitzung im Juni informiert werden.

Geschenkter Sieg für die AfD

Der CDU-Kreisverband Meißen rechtfertigte sich ebenfalls am Freitag und erklärte, dass Bernig „ein engagierter, durchaus streitbarer und zeit-kritischer Geist“ sei, „der als Essayist mitunter auch sehr pointiert formuliert.“ Die Rede ist von „pauschalen Vorwürfen“, die erhoben werden – und mit denen sich die CDU bislang nicht auseinandersetzt. Der Kreisverband bestreitet gar, Bernig überhaupt aufgestellt zu haben. Er sei vielmehr „im Ergebnis eines gründlichen Auswahlverfahrens“ in die engere Auswahl und letztlich zur Abstimmung gekommen. Das ist augenscheinlich nicht die ganze Wahrheit. So gab der CDU-Kreisvorsitzende Sebastian Fischer in einem Twitter-Beitrag an, dass Bernig sehr wohl „ein CDU-Vorschlag“ gewesen sei.

Offen ist, ob Absprachen mit der AfD getroffen worden sind, für die Bernigs Wahl ein geschenkter Sieg ist. Die Union bestreitet ein koordiniertes Vorgehen, für sie war aber absehbar, dass die Kandidatur nur dann aussichtsreich ist, wenn auch die AfD zustimmt. Die CDU in der Region gilt als vergleichsweise rechtslastig und Pegida-freundlich, mehrere Funktionär*innen und Mandatsträger*innen sind zugleich in der sogenannten WerteUnion aktiv. Hinzu kommt eine enge Verflechtung mit der Landespolitik: Oberbürgermeister Wendsche ist auch Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetags. CDU-Fraktionschef Reusch arbeitet als Spitzenbeamter für die Landesregierung, war zuletzt als Abteilungsleiter im Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft tätig. Im offiziellen Organigramm des Ministeriums wird sein Name neuerdings nicht mehr genannt.

Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte sich wiederholt gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen, eine Reaktion der Landespartei zum Fall Bernig gibt es bislang nicht. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz, der für die CDU im Bundestag sitzt und als vergleichsweise liberal gilt, nannte Bernig indes „nicht wählbar“, er sehe ihn „weit weg“ von der politischen Mitte. Wie sieht das Bernig selbst? Der Gewählte steht für Anfragen nicht zur Verfügung. Er teilte bislang nur mit, dass er die Wahl annimmt und sich auf seine neue Aufgabe freut. Seine Arbeit im Kulturamt wird er – so die aktuelle Planung – voraussichtlich ab August aufnehmen. Dann beginnt zunächst eine sechsmonatige Probezeit.