Unternehmen erhalten ungefragt Post von einem sächsischen Abgeordneten. Er verschweigt, dass er zur AfD gehört, spricht von einem Landtagsausschuss, den er nie von innen gesehen hat, und stellt Hilfe in Aussicht, die er gar nicht gewähren kann. Wozu dieses Verwirrspiel?
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Mit einem irreführenden Schreiben wendet sich die AfD derzeit an sächsische Unternehmen und erkundigt sich bei ihnen nach der wirtschaftlichen Lage sowie den Folgen der Pandemiekrise. Wie sich aus einem der personalisierten Anschreiben ergibt, das idas vorliegt, wandte man sich dafür in den vergangenen Tagen per Post an rund 400 Selbständige und Unternehmen allein im Landkreis Zwickau, womöglich auch darüber hinaus. Ihnen wurde ungefragt ein Fragebogen zugesandt – versehen mit weitreichenden, aber offenbar falschen Versprechungen.
Hahn verspricht „bestmögliche Hilfe“
Absender des Exemplars, das der idas-Redaktion vorliegt, ist der AfD-Landtagsabgeordnete Christopher Hahn. Einleitend schreibt er: „Ich bin Mitglied im Ausschuss für Regionalentwicklung.“ Dort werde beraten, „wie wir die Auswirkungen der Corona-Krise für unsere sächsischen Unternehmer und Freiperufler erträglicher gestalten können.“ Er wolle in dem Zusammenhang „alles in meiner Macht stehende tun, um Ihnen die bestmögliche Hilfe zuteilwerden zu lassen.“ Damit er sich „für Sie einsetzen“ könne, solle ein beiliegender Fragebogen beantwortet und zurückgesandt werden.
Problem dabei: Hahn wird die Ankündigung, „bestmögliche Hilfe“ zu organisieren, nicht erfüllen können. Denn dem Ausschuss für Regionalentwicklung, auf den er sich beruft, gehört er gar nicht an, ist dort weder Mitglied, noch Stellvertreter. Eine Nachfrage im Landtag ergibt, dass Hahn bislang auch nicht in anderer Rolle an irgendeiner Sitzung dieses Fachausschusses teilgenommen hat. Anders als angegeben befasst sich das Gremium derzeit ohnehin nicht mit der Pandemie und der Lage sächsischer Unternehmen.
In der vergangenen Ausschusssitzung, die am Montag stattfand, ging es vielmehr um Anpassungen sächsischer Gesetze für Ingenieurs- und Architektenberufe an eine EU-Richtlinie. Künftig ist unter anderem eine Beratung über sozialen Wohnraum geplant. Auch der Rest von Hahns Brief gleicht einem Verwirrspiel: Das Schreiben kommt zwar hochoffiziell daher, ganz oben prangt das amtliche Wappen des Sächsischen Landtags. Dass Hahn der AfD angehört, ergibt sich jedoch nicht, er erwähnt Partei oder Fraktion an keiner Stelle. Es gibt weitere Indizien für eine bewusste Verschleierung.
Anschrift führt nach Crimmitschau
Teil des Briefkopfes ist nämlich eine Anschrift, die beim Lesen unmittelbar in Verbindung mit dem Landtag gebracht wird. Doch wer sich an die angegebene Postadresse wendet, kommt nicht im Dresdner Parlament raus, sondern in Crimmitschau, in einem Büro des Zwickauer AfD-Kreisverbands. Dorthin soll auch der beiliegende Fragebogen zurückgesandt werden. Was dort mit den Unterlagen passieren wird, ist unklar.
Der dreiseitige Fragebogen enthält 17 Einzelfragen. Mit ihnen wird unter anderem erhoben, inwieweit das jeweilige Unternehmen von der Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen betroffen ist, welche staatlichen Hilfsangebote in Anspruch genommen wurden und ob dabei Probleme auftraten. Daneben werden allerdings auch sensible Betriebsangaben abgefragt, etwa die Zahl der Beschäftigten, die Bildung von „krisensichernden Rücklagen“ und etwaige Überlegungen zu einem Standortwechsel.
Optional kann der Fragebogen auch online ausgefüllt werden. Wer diesen Weg wählt, gelangt zu einer Umfrageseite, die ein kommerzieller Anbieter zur Verfügung stellt. Für die ausgefüllten Felder dankt am Ende „Christopher Hahn, MdL“, ohne die AfD zu erwähnen. Anonymisiert sind die Fragebögen weder in der Druck-, noch in der Onlinefassung. Eine obligatorische Datenschutzerklärung fehlt.
Nicht der erste Fall
Das Vorgehen der AfD überrascht. Derzeit skandalisiert ihre Landtagsfraktion nämlich ein Rundschreiben, das Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kurz vor Ostern allen sächsischen Haushalten zustellen ließ. „Steuergeldverschwendung“, meint die AfD. Sie hat dazu im Landtag nachgefragt und erfahren, dass Konzeption und Zustellung des Ministerbriefs mehr als 400.000 Euro verschlungen haben. Hahns Brief allerdings wurde ebenfalls nicht gratis ausgetragen: Die Kosten werden entweder durch die Fraktion oder aus seiner Abgeordnetendiät beglichen. In beiden Fällen handelt es sich um Steuergelder.
Die Zwickauer AfD, der Hahn angehört, war schon einmal mit einem dubiosen Rundschreiben aufgefallen. Im Frühjahr 2019, kurz vor der Kommunalwahl, kaufte der Kreisverband bei einer kommerziellen Adressdatenbank einen Datensatz mit rund 2.500 Anschriften im Landkreis und schickte Briefe los, in denen um Spenden gebeten wurde, um dadurch „die rotrotgrüne Bestrahlung der sächsischen Wirtschaft“ zu beenden. Die Aktion war damals aufgeflogen, weil das Schreiben auch öffentliche Einrichtungen, Vereine und Verbände erreichte, die an Parteien nicht spenden dürfen und dadurch faktisch zu illegalen Parteispenden aufgefordert wurden. Hinterher war die Rede von „Fehlläufern“. Initiator der Aktion war Wolfram Keil, der den Kreisverband leitet und inzwischen wie Hahn im Landtag sitzt.
Auffällig jetzt: Nicht nur in Sachsen verschickt die AfD-Fraktion derzeit Post. In Sachsen-Anhalt gibt es eine ähnliche Aktion, die dortige Landtagsfraktion wandte sich in den vergangenen Tagen ebenfalls mit einem Brief an Unternehmen und Verbände. Auch dort geht es um die Folgen der Pandemie, versehen mit dem Angebot, mit der Fraktion Kontakt aufzunehmen und „ihre Probleme und Sorgen“ mitzuteilen. In Sachsen-Anhalt wird allerdings deutlich auf den wirklichen Absender hingewiesen.