Presseschau, 11. Kalenderwoche 2020

Wahlen in Mockrehna, Ottendorf-Okrilla und Moritzburg, Stadträte in Freital und Dresden, Nebenklage in Döbeln, Volksverhetzung, Steuernachforderung, „Flügel“-Leute im Bundestag, Lügner Kalbitz, Kabarettist Steimle, Schützenvereine, Stimmungswandel bei der FDP, Verfassungsschutz-Beobachtung, DDR-Vergleiche, Putin-Begeisterung, Online-Netzwerke, Rentenkonzept. Das war diese Woche wichtig:



AfD in Sachsen

In Mockrehna (Nordsachsen) will Sandro Oschkinat Bürgermeister werden. Der erste Wahlgang in der Gemeinde findet heute statt, Oschkinats Gegenkandidat ist der parteilose Amtsinhaber Peter Klepel. Oschkinat war bis September 2018 Mitglied der AfD, zuletzt als Vorstandsmitglied im Kreisverband Nordsachsen. Die Partei verließ er im Streit, zwischenzeitlich hatte er sich einer Freien Wählervereinigung angeschlossen. Er kandidiert nun für das „Spektrum Aufrechter Demokraten“, einen von ihm Anfang 2016 mitbegründeten nationalistischen Verein, der sich an Pegida orientiert. Dort und beim Leipziger Ableger Legida hielt Oschkinat mehrere Reden. Heute bezeichnet er sich als „freien Polit-Aktivisten“. Im Wahlkampf sprach er sich „gegen einen weiteren Zuzug von Migranten“ aus. Zuletzt hat er von sich reden gemacht, weil er einen CDU-Bundestagsabgeordneten auf Facebook als „arbeitsscheuen, charakterlosen Volksbetrüger“ bezeichnete. Ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung wurde inzwischen eingestellt. (↪ LVZ, 04.03.)

Im ersten Wahlgang zur Bürgermeister*innenwahl in Ottendorf-Okrilla (Landkreis Bautzen) hat der AfD-Kandidat Carsten Rybicki am vergangenen Sonntag 9,5 Prozent der Stimmen erhalten und ist mit deutlichem Abstand hinter zwei parteilosen Einzelbewerbern auf den dritten Platz gekommen. Da kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht hat, wird am 29. März der zweite Wahlgang stattfinden. Rybicki, der nicht aus dem Ort kommt und dort auch nicht lebt, will erneut antreten. (↪ Sächsische, 08.03., ↪ DNN, 14.03.)

Die AfD will das Gerichtsurteil gegen drei Männer, die Anfang vergangenen Jahres vor dem Parteibüro in Döbeln (Mittelsachsen) eine sogenannte Kugelbombe gezündet hatten, nicht akzeptieren. Das Amtsgericht Döbeln hat in dem Fall kürzlich Bewährungsstrafen verhangen. Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben das Urteil akzeptiert, das demnach rechtskräftig werden könnte. Jedoch hat sich nunmehr überraschend eine Person aus dem AfD-Kreisverband Mittelsachsen beim Amtsgericht als potentielle Nebenkläger*in gemeldet und Rechtsmittel eingelegt, offenbar mit dem Ziel, höhere Strafen zu erlangen. Die verurteilten Delikte sind allerdings nicht nebenklagefähig. Zunächst blüht der AfD selbst Ärger: Nach dem Urteil hatten Anhänger*innen der Partei, darunter auch der Landtagsabgeordnete Lars Kuppi, vor dem Döbelner Amtsgericht Transparente aufgespannt und damit gegen das aus ihrer Sicht zu milde Urteil protestiert. Die Versammlung war jedoch nicht angemeldet gewesen. Die zuständige Versammlungsbehörde prüft nun ein Bußgeldverfahren gegen die Verantwortlichen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Kuppi wurde im September vergangenen Jahres in den Landtag gewählt. Er ist von Beruf Polizeibeamter. (↪ LVZ, 09.03.)

Die AfD im Stadtrat von Freital (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) hat die Verwendung eines Nazisymbols verharmlost. Hintergrund: Mitte Februar war beim örtlichen Karnevalsumzug ein Papp-Nachbau der Weißeritztahlbahn mitgefahren. Die Lok war mit dem Schrifzug „Führerhaus“ beschriftet, wobei das „s“ eindeutig in Form einer sogenannten Sig-Rune ausgeführt war – ein Zeichen der Völkischen Bewegung, das später das Emblem der nationalsozialistischen SS bildete, dessen Verwendung strafbar ist. Der verantwortliche Karnevalsverein Somsdorf hat sich dafür entschuldigt und sich von rechtem Gedankengut in einer Erklärung distanziert. Der Vorfall wurde nun auch Thema im Freitaler Stadtrat – wo sich die AfD-Ratsmitglieder ein Lachen „nicht verkneifen“ konnten, wie die Sächsische Zeitung berichtet. Der Fraktionsvorsitzende Torsten Heger sprach im Nachhinein von „linken Gesinnungswächtern“, eine Andeutung „in Richtung Hitlerzeit“ sei für ihn nicht erkennbar. Es handle sich bloß um eine „Provinzposse“. (↪ Sächsische, 10.03.)

Die AfD-Stadtratsfraktion in Dresden will Steuern und Gebühren in der Landeshauptstadt senken. Wie der stellvertretende Fraktionschef Bernd Lommel erläuterte, soll unter anderem die Gewerbesteuer ermäßigt und die sogenannte Bettensteuer ganz abgeschafft werden. Durch die Pläne würden der Landeshauptstadt künftig Einnahmen in Höhe von rund 60 Millionen Euro pro Jahr entgehen. Die AfD hat keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung unterbreitet. Lommel vermutet, dass sich niedrigere Gewerbesteuern unterm Strich rechnen könnten, da es „für Unternehmen attraktiver“ werde, sich in Dresden anzusiedeln. (↪ Sächsische, 11.03.)

Bei der Bürgermeister*innenwahl in Moritzburg (Landkreis Meißen), die heute stattfindet, unterstützt die AfD den CDU-Kandidaten Volker John. Auf einen eigenen Antritt hatte die AfD verzichtet, nun aber Flugblätter verbreitet, die aufrufen, für einen „konservativen Wechsel“ zu stimmen. Der CDU-Kandidat gab sich auf Nachfrage „überrascht“. Das Schreiben, das zu seiner Wahl aufruft, wurde unter anderem durch Ingo Friedemann unterzeichnet, der einer der Pegida-Mitgründer war. (↪ Sächsische, 14.03.)

AfD rundherum

Weil er volksverhetzende Beiträge bei Facebook verfasst haben soll, ist ein Polizeibeamter in Nordrhein-Westfalen vom Dienst suspendiert worden. Gegen den 57-Jährigen wurden ein Straf- und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Bei ihm handelt es sich um Martin Jansen. Er ist Stadtverordneter in Gelsenkirchen und Vorsitzender der dortigen AfD-Fraktion. (↪ Spiegel, 10.03., ↪ WAZ, 10.03.)

Die AfD-Bundestagsfraktion hat den Abgeordneten Karsten Hilse, der aus Hoyerswerda (Landkreis Bautzen) stammt, zum dritten Mal in Folge als Bundestagsvizepräsidenten vorgeschlagen. In den beiden vorangegangenen Wahlgängen war Hilse jeweils durchgefallen. Vor ihm hatten bereits vier andere Kandidat*innen der AfD nicht die erforderliche Mehrheit erreicht. Der AfD-Fraktion steht der Posten zu, sie hat aber keinen Anspruch, dort eine bestimmte Person zu platzieren. (↪ Sächsische, 12.03.)

Wegen nicht korrekt versteuerter Einnahmen hat das Finanzamt von der AfD-Bundespartei die Nachzahlung von Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 21.000 Euro gefordert. Das geht aus dem neuen Rechenschaftsbericht der Partei hervor. Zugrunde liegen Erlöse aus einem „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“, die in den Jahren 2015 bis 2017 erzielt wurden. Die Nachzahlung wurde inzwischen entrichtet. Unklar ist aber, um welchen „Geschäftsbetrieb“ es sich handelt. (↪ Spiegel, 13.03.)

Der brandenburgische AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz, der auch einer der Anführer des verfassungsfeindlichen „Flügels“ ist, hat über seine Vergangenheit in der Neonaziszene gelogen. Medienberichte belegen, dass Kalbitz im Jahr 2007 eine Veranstaltung der zwei Jahre später verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) besuchte hat. Kalbitz erklärte dazu, dort nur Gast gewesen zu sein und sich „informiert“ zu haben. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) stimmt das jedoch nicht. Vielmehr habe Kalbitz über einen Zeitraum von mindestens 14 Jahren in Kontakt mit der neonazistischen Gruppe gestanden. Dem BfV liegt gar eine Mitgliederliste der HDJ vor, auf der Kalbitz eingetragen ist, inklusive Mitgliedsnummer. Im Zusammenhang mit der Einstufung des „Flügels“ als Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden hat das BfV darauf hingewiesen, dass Kalbitz „evident unrichtige Aussagen“ zu seiner Vergangenheit macht. (↪ MAZ, 14.03., ↪ Tagesspiegel, 14.03.)

Nach Informationen der Welt am Sonntag gelten mindestens 25 der insgesamt 89 AfD-Bundestagsabgeordneten als Teil des verfassungsfeindlichen „Flügels“. Mindestens drei von ihnen sind im öffentlichen Dienst tätig und müssen nun mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen. Darunter ist Jens Maier, der bis 2017 Richter am Dresdner Landgericht war. Zwar behauptet die AfD, dass der „Flügel“ keine offizielle Parteiorganisation sei und keine Mitgliederlisten führe. Meiers Zugehörigkeit steht aber außer Frage: Er ist der offizielle „Flügel“-Obmann für Sachsen. (↪ Welt, 15.03.)

Blauzone

Der Verein Dresdner Ausländerrat hat sich von seinem Vorstandsmitglied Victor Vincze getrennt. Vincze hatte sich am Montag in seiner Funktion als Vorsitzender des Dresdner Integrations- und Ausländerbeirates, der er nach wie vor ist, mit der AfD-Stadtratsfraktion getroffen und ein Foto veröffentlicht, dass ihn lächelnd an der Seite von Ratsmitgliedern der Partei zeigt. Es habe sich um ein „wirklich lebhaftes Gespräch“ gehandelt, Herausforderungen der Stadtentwicklung könne man „nur gemeinsam“ bewältigen, schrieb er. Der Ausländerrat sprach von „naiven Gesten“, was „den Beschwichtigungsstrategien der AfD in die Hände spielt.“ (↪ Bild, 10.03., ↪ Sächsische, 11.03.)

Der umstrittene Kabarettist Uwe Steimle hat sich dafür ausgesprochen, mit der AfD zu reden. Es handle sich aus seiner Sicht um „eine konservative bürgerliche Partei“, sagte er im Interview mit der Sächsischen Zeitung. „Sie auszuschließen, halte ich für falsch.“ Steimle betonte, weder links noch rechts zu sein. Er werde von mehreren Seiten „missbraucht“ und sogar „gejagt“. Dass er seine Sendung beim MDR verloren hat, zeige zudem, dass „die Demokratie am Boden“ sei. (↪ Sächsische, 15.03.)

Stimme & Haltung

Der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) widersetzt sich Vereinnahmungsversuchen der AfD und warnt Schützen- und Brauchtumsvereine vor einer Unterwanderung durch die Partei. Im katholisch geprägten BHDS sind rund 1.300 Vereine mit 400.000 Mitgliedern zusammengeschlossen. Das Präsidiumsmitglied Emil Vogt berichtet, dass Rechtspopulist*innen „unter dem Deckmantel der Heimatverbundenheit Grenzen abschotten und Fremdenhass schüren“ wollen. Das Vorgehen entspricht Empfehlungen in einem Strategiepapier der AfD. Über verschleierte Parteikanäle seien dem BHDS in den vergangenen Wochen hohe Geldspenden angeboten worden, die man aber nicht angenommen habe. Bereits Ende 2019 seien der Bund und seine Mitgliedsvereine anlässlich der Debatte um das verschärfte Waffenrecht durch die AfD kontaktiert worden. Es habe weitere Versuche von „Anbandelungen vonseiten der AfD“ gegeben, denen man aber nicht nachgeben werde. (↪ Tagesschau, 09.03., ↪ RND, 09.03., ↪ FAZ, 09.03., ↪ SZ, 10.03., ↪ DLF, 12.03., ↪ DW, 12.03.)

Der ehemalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg ist aus der FDP ausgetreten, in der er seit der Wende Mitglied war. Als Gründe nannte er zum einen „Intrigantentum im Landesverband“, zum anderen die Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten, was nur mit Unterstützung der AfD gelang. „Gratulationen auf Bundesebene“ hätten ihn letztlich bewogen, seine Mitgliedschaft aufzugeben, sagte Roßberg. (↪ Sächsische, 10.03.)

Die FDP-Bundestagsfraktion hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Ereignisse rund um die Kemmerich-Wahl in Thüringen aufzuarbeiten und den künftigen Umgang mit der AfD zu klären. Leiter der Arbeitsgruppe ist der Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser. Er räumt Fehler der FDP ein. So habe man die Strategie der AfD verkannt. Daraus müssten Schlüsse für die Zukunft gezogen werden: „Die Brandmauer zur AfD muss ohne Wenn und Aber halten“, sagte Strasser. Bisher habe jedoch keine Fraktion ein Konzept entwickelt, das zeigen könnte, „wie man der AfD begegnet und wie man sie vor allem kleiner macht.“ (↪ Tagesspiegel, 12.03., ↪ FAZ, 13.03.)

Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger*innen hält die Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, den völkisch-nationalistischen „Flügel“ als „rechtsextrem“ einzustufen und zu beobachten, für richtig. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Demnach finden 67 Prozent der Befragten die Entscheidung „eindeutig richtig“, weitere neun Prozent halten sie für „eher richtig“. Knapp sieben Prozent der Befragten sind unentschlossen. Lediglich 17,5 Prozent halten die Entscheidung für „eher“ oder „eindeutig falsch“. Differenziert nach Anhänger*innen von Parlamentsparteien ist die Zustimmung unter Personen, die angeben, die FDP zu wählen, mit 61,5 Prozent am geringsten. Zweifel an der Verfassungstreue scheint es selbst innerhalb der AfD zu geben: Von ihren Wähler*innen lehnen nur 79 Prozent die Beobachtung ab, der Rest ist unentschlossen oder stimmt sogar zu. Starke Unterschiede zeigen sich zwischen Ost- und Westdeutschen: In den Neuen Bundesländern – wo die AfD und der „Flügel“ besonders stark sind – halten nur zwei Drittel die Einstufung für richtig, ein Viertel hält sie für falsch. (↪ Spiegel, 13.03.)

Sachsens Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar hat angekündigt, gegen Beamt*innen vorzugehen, die dem verfassungsfeindlichen „Flügel“ angehören. Eine Mitgliedschaft in der AfD allein gebe zwar noch keine Handhabe. Dem „Flügel“ anzugehören sei aber nicht mit dem Amtseid vereinbar. „Fakt ist, dass ich von allen meinen Polizeibeamtinnen und -beamten verlange, felsenfest mit beiden Beinen auf dem Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen. Wenn uns bekannt wird, dass ein Polizeibeamter Anhänger des AfD-Flügels ist, werden wir im Einzelfall prüfen, ob dies disziplinarrechtliche Folgen haben kann“, sagte Kretzschmar der Zeit. Auf Anfrage der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erklärte zudem das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz, dass die Betätigung von Beamt*innen „in einer extremistischen Bestrebung“ die beamtenrechtliche Treuepflicht verletzt. Das Bundesinnenministerium teilt diese Ansicht: Wenn eine „Flügel“-Mitgliedschaft bekannt wird, werde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. (↪ Tagesspiegel, 13.03., ↪ Zeit, 15.03., ↪ FAZ, 15.03.)

Hintergründe

Die AfD agitiert gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die geplante Gebührenerhöhung ist dafür nur der neueste Anlass. Mit ihren Positionen steht die Partei nicht alleine da: Sie ist Teil einer breiteren „Koalition gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie besteht aus Rechtskonservativen, neurechten Publizisten und Influencern, Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen“. (↪ Übermedien, 09.03., ↪ Buzzfeed, 09.03.)

In der AfD engagieren sich auch sogenannte Lebensschützer*innen, die sich radikal gegen Abtreibungen wenden und teils mit christlich-fundamentalistischen Kreisen verbunden sind. Aktuelle Beispiele aus München und Passau zeigen, wie Ärzt*innen und Beratungssuchende belästigt und regelrecht belagert werden. (↪ TAZ, 09.03., ↪ FR, 11.03.)

Klimaschutz? Für die AfD ist das kein Thema, weite Teile der Partei bestreiten den menschengemachten Klimawandel und dessen drastische Auswirkungen. Auch im Vergleich mit anderen rechtsradikalen Parteien in Europa vetrtitt die AfD damit eine extreme Position. Sie profitiert von der Vorfeldarbeit einer regelrechten Klimaleugner-Szene, die seit etlichen Jahren aktiv ist. (↪ SWR, 10.03.)

Vergleiche der Bundesrepublik mit einer Diktatur und die Gleichsetzung der heutigen Demokratie mit Zuständen in der DDR gehören zum gewohnten rhetorischen Arsenal der AfD und ihres publizistischen Umfelds. Schriftsteller wie Uwe Tellkamp zählen dazu. David Begrich zeigt, dass es darum geht, sich als „Elite der neuen Dissidenz“ zu inszenieren – und weist darauf hin, wie abwegig und geschichtsvergessen das ist: „Keine der in den vergangenen Jahren entstandenen neurechten Zeitschriften erscheint als Samisdat auf schlechtem Papier und wird illegal vertrieben. Sie können am Kiosk gekauft oder im Abo bezogen werden, weil es offenkundig einen Markt dafür gibt.“ (↪ Freitag, 10.03.)

Die Begeisterung für Putin und das autoritär regierte Russland ist in rechten Kreisen groß, auch in der AfD ist das so. Die emphatische Hinwendung hat verschiedene Gründe: Gerade in der Anfangsphase ging es der AfD darum, sich als Anti-Establishment-Partei zu profilieren und sich als eine  außenpolitisch gewichtige Gegenspielerin zur Bundesregierung ins Gespräch zu bringen. Hinzu kommen pragmatische Überlegungen, gezielt russlanddeutsche Wähler*innen anzusprechen. Doch es gibt auch eine ideologische Wurzel, die „geistige Demontage und Delegitimierung der liberalen und pluralistischen Demokratie“: „Mit dem Putinismus hat sich in Russland ein System etabliert, dem die Neue Rechte immer mehr abgewinnen kann. Russland gilt als Vorbild dabei, wie rechtsstaatliche Mechanismen ausgehebelt werden. […] Die Vision einer Achse Paris-Berlin-Moskau, wie sie AfD-Rechtsaußen Björn Höcke vertritt, passt hier gut in schematische Interpretationen der USA als Hort des Liberalismus und damit als Kontrapunkt zur Vorstellung von einem traditionalistischen Europa.“ (↪ Gegneranalyse, 13.03.)

Viele AfD-Anhänger*innen bewegen sich in extrem rechten Onlinenetzwerken, aus denen heraus koordiniert Falschinformationen und Verschwörungstheorien gestreut werden. Die Partei profitiert von solchen obskuren Internetsubkulturen. Patricia Zhubi und Alexander Reid Ross zeigen das am Beispiel der rassistischen Mordanschläge von Hanau: Zu diesem Thema „finden Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme in dem unbedingten Willen zusammen, den Anschlag von Hanau nicht als Argument gegen ihre Praxis verstanden wissen zu wollen“. Vielmehr werde suggeriert, dass die AfD nur so etwas wie ein „Sündenbock“ sei. (↪ Zeit, 14.03.)

Fokus: Einigung im Rentenstreit

Nach langem Streit um ein Rentenkonzept und die zukünftige sozialpolitische Ausrichtung hat die AfD eine vorläufige Einigung erzielt. Mit breiter Mehrheit einigte sich die Bundesprogrammkommission nun auf einen gemeinsamen Leitantrag, der beim kommenden Bundesparteitag verabschiedet werden soll. Demnach will die Partein dafür eintreten, künftig auch Abgeordnete, Selbständige und die meisten Beamt*innen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen zu lassen.

Zudem soll eine „aktivierende Familienpolitik“ betrieben werden. Sie besteht vor allem in finanziellen Anreizen, mit denen die Geburtenrate erhöht werden soll – um die Menge der Beitragszahler*innen stabil zu halten, ohne auf Einwanderung angewiesen zu sein. Die AfD will zu diesem Zweck ein „traditionelles“ Familienkonzept bewerben und im Schulunterricht vermitteln, anstatt „Kinder und Jugendliche in ihrer sexuellen Identität zu verwirren“. Zugleich sollen Abtreibungen erschwert werden.

Parteichef Jörg Meuthen hatte seit Jahren für eine generelle Umstellung auf eine steuerfinanzierte Alterssicherung plädiert, die nur noch ein Mindestniveau garantiert und alles Weitere der privaten Vorsorge überlässt. Meuthens Ansatz ist nunmehr gescheitert, er schlägt sich nur noch in einem kurzen, gesichtswahrenden Passus nieder. Die Ost-Verbände und der „Flügel“ hatten dagegen die Beibehaltung des staatlichen Rentensystems bei zusätzlicher Privilegierung „deutscher“ Bezieher*innen verlangt. Der Leitantrag sieht nun keinen grundsätzlichen Rentenbonus für „Deutsche“ mehr vor, der vermutlich ohnehin verfassungswidrig wäre. Allerdings sollen Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft besonders bezuschusst werden.

Die Bedenken gegen Meuthens marktradikale Pläne waren nicht nur inhaltlicher Art, sondern folgten auch der Sorge, künftig als diejenige Partei dazustehen, die das staatliche Rentensystem abschaffen will. Die Kosten für die jetzt aufgestellten Rentenpläne beziffert die Partei nicht. Etliche Detailforderungen liegen zudem nah an den Vorschlägen anderer Parteien. Der Leitantrag soll bei einem eigens angesetzten Sozialparteitag verhandelt werden, der für den 25. und 26. April in Offenburg geplant war. Gerechnet wird mit mehr als 1.000 Teilnehmenden, darunter rund 600 offizielle Delegierte. Der Bundesvorstand hat inzwischen im Hinblick auf die Corona-Pandemie eine Verschiebung beschlossen. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. (↪ n-tv, 10.03., ↪ RND, 10.03., ↪ Tagesschau, 10.03., ↪ Spiegel, 10.03., ↪ ZDF, 10.03., ↪ TAZ, 11.03.)