Was wollte Zabel an Lübckes Haus?

Nach der Ermordung des hessischen Politikers Walter Lübcke tauchte ein ungebetener Gast am Tatort auf: Daniel Zabel, ein verurteilter rechter Straftäter – der im Landesvorstand der sächsischen AfD sitzt. Demnächst könnte er als Zeuge im Frankfurter Strafprozess aussagen – über Szeneanwalt Frank Hannig, den windigen Ex-Verteidiger des Angeklagten Stephan Ernst.


Beitrag vom 18.11.2020, 16:15 Uhr │ Im Bild: Daniel Zabel (l.), hier an der Seite des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland bei einer Landtags-Veranstaltung in Dresden.


Am früheren Tatort aufgegriffen

Der sächsische AfD-Landesfunktionär und suspendierte JVA-Beamte Daniel Zabel soll als Zeuge im Strafprozess zur Ermordung des Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke aussagen. Das hat einer der Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst beantragt. Diesem wird vorgeworfen, Lübcke Anfang Juni 2019 heimtückisch und aus niederen Beweggründen vor dessen Wohnhaus durch einen Pistolenschuss in den Kopf getötet zu haben. Ein Vernehmungstermin am Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist noch nicht bekannt.

Dort wird bereits seit fünf Monaten gegen Ernst und seinen mutmaßlichen Helfer Markus Hartmann verhandelt, der beigetragen haben soll, die Tatwaffe zu besorgen. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung (Mittwochsausgabe) könnte Zabel zu einem Vorgang aussagen, der sich knapp zwei Monate nach dem Attentat abspielte: Die Polizei griff ihn in Wolfhagen-Istha auf, direkt vor dem Wohnhaus der Familie Lübcke, am früheren Tatort. Offenbar wollte er mit seinem Handy Fotoaufnahmen fertigen.

Beamt*innen, die das Grundstück bewachten und den Mann nicht sofort bemerkt hatten, sprachen ihn an. Zabel soll daraufhin erklärt haben, dass ihn der Anwalt des mutmaßlichen Täters geschickt habe, um den Weg abzulaufen, den Stephan Ernst gegangen sein soll. Und das, obwohl nach idas-Informationen die Ermittlungsakte bereits damals Aufnahmen vom Tatort und der Umgebung enthielt.

Ermittlungen gegen Frank Hannig

Der Anwalt, um den es geht, ist der Dresdner Strafverteidiger Frank Hannig. Seit diesem Sommer vertritt er Ernst nicht mehr, wurde entpflichtet und entlassen. Zuvor äußerte der Vorsitzende Richter deutliche Zweifel, ob er seinen Mandanten noch ordnungsgemäß verteidigen kann. Offenbar ohne Absprache hatte Hannig mehrere Beweisanträge gestellt, die das Opfer und dessen Angehörige in Misskredit bringen sollten, ohne Anhaltspunkte, ohne Bezüge zur Tat. „Gequirlten Unsinn“ nannte der Richter dieses Vorgehen, Ernst entzog seinem Anwalt das Vertrauen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Kassel ein Ermittlungsverfahren gegen Hannig wegen Anstiftung zur falschen Verdächtigung eingeleitet, ihm droht das Aus in seinem Beruf.

Grund: Er soll seinen Mandanten angestiftet haben, in einer von mehreren Geständnisversionen den Mitangeklagten Hartmann zu bezichtigen, den tödlichen Schuss abgegeben zu haben. Doch das gilt im Ergebnis der bereits weit fortgeschrittenen Beweisaufnahme als wenig wahrscheinlich, deckt sich nicht mit der Situation am Tatort. Auch in der Umgebung, die sich Zabel näher ansah, gab es keine Spuren, die Hartmann zuzuordnen sind. Ernst nahm die Behauptung, dass Hartmann geschossen habe, später zurück. Er beharrt aber darauf, dass er mit vor Ort gewesen sei.

Zabels Aussage soll offenbar Aufschluss darüber bringen, welche Annahmen Hannig zur damaligen Zeit über die Tatnacht anstellte, ob er wirklich von einem zweiten Täter ausging – oder ob er diese Version frei erfunden hat, um seinen Mandanten zu entlasten. Ernst gilt nach seinen widersprüchlichen Angaben als wenig glaubwürdig, im Prozess gab er an, das Kalkül seines Ex-Anwalts sei es gewesen, Hartmann zu einer Aussage zu bewegen.

Kam Hannig durch Zabel an das Mandat?

Hannig, einst Stasi-Zuträger, gilt als Szeneanwalt, ist gut bekannt und vernetzt im Anti-Asyl-Spektrum. Vor knapp sechs Jahren war er behilflich, den Pegida-Förderverein mitzugründen, später stand er selbst auf der Bühne der rassistischen Protestserie. Im vergangenen Jahr zog er für die Dresdner „Freien Wähler“ in den Stadtrat der Landeshauptstadt ein. Die Zusammenarbeit mit dem Freie-Wähler-Landesverband nahm die Bundesspitze der Partei zum Anlass, den Sachsen-Chef Steffen Große wegen „Verbindungen und Überschneidungen mit dem rechtsextremen Milieu“ abzusetzen. Inzwischen ist die Landespartei zerbrochen, an Leuten wie Hannig.

Er schweigt zum Lübcke-Fall seit einer Weile, um sich nicht selbst zu belasten. Nur die Umstände, unter denen Ernst sein Mandant wurde, hat er erläutert: Ein JVA-Mitarbeiter aus Kassel, dem er wegen eines „früheren Mandats“ bekannt war, habe ihm den Tipp gegeben. Damit ist vermutlich gemeint, dass Hannig auch für Zabel anwaltlich aktiv war, in einem Fall, der groß durch die Medien ging. Im Sommer 2018, nach der Tötung des Chemnitzers Daniel H., hatte der JVA-Beamte Zabel unbefugt einen Haftbefehl gegen einen Verdächtigen veröffentlicht, dessen Unschuld sich später herausstellte. Das Dokument wurde unter anderem durch die Neonazi-Lokalpartei „Pro Chemnitz“, durch Pegida und AfD-Politiker*innen verbreitet.

Zabel bekannte sich öffentlich als Urheber des „Leaks“, wurde in der rechten Szene als „Whistleblower“ gefeiert. Das Amtsgericht Dresden verurteilte ihn im Oktober 2019 wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, ausgesetzt zu Bewährung, sowie zur Ableistung von 150 Arbeitsstunden. Das konnte sein Verteidiger Hannig nicht verhindern. Die Staatsanwaltschaft ging von einem klar rassistischen Motiv aus, das Gericht schloss sich dieser Sicht an. Seither ist Zabel ein verurteilter rechtsmotivierter Straftäter.

Mutmaßlicher Täter war AfD-Unterstützer

Mit der widerrechtlichen Veröffentlichung des Haftbefehls, der auf einen irakischen Staatsbürger ausgestellt war, wurde vor zwei Jahren die Lage in Chemnitz noch zusätzlich angeheizt. Höhepunkt der damaligen rechten Protestwelle, bei der es zu Ausschreitungen, Angriffen auf die Polizei sowie Übergriffen auf Migrant*innen und Linke kam, war ein gemeinsamer „Trauermarsch“ von AfD und Pegida am 1. September 2018. In der ersten Reihe stand unter anderem der sächsische AfD-Landeschef Jörg Urban. Unter den Teilnehmern befanden sich außerdem Stephan Ernst und Markus Hartmann. Anwalt Hannig hat das zwar bestritten, doch es gibt aussagekräftiges Film- und Videomaterial, längst bestätigte Ernst die Teilnahme.

In einer Vernehmung gab er außerdem an, dass bei der Rückreise aus Chemnitz der Entschluss gefallen sein, dem späteren Mordopfer Lübcke etwas anzutun. Der CDU-Politiker war ab Herbst 2015 zur Hassfigur der rechten Szene geworden. Bei einer Bürger*innenversammlung in Lohfelden (Landkreis Kassel) hatte er die geplante Einrichtung einer Unterkunft für Geflüchtete verteidigt und auf Anwürfe von Teilen des Publikums geantwortet, wer die Werte des Grundgesetzes ablehne, dem stehe es frei, Deutschland zu verlassen. Bekannt wurde dieses Statement durch eine Videoaufnahme, vermutlich aufgenommen und ins Netz gestellt durch Ernst und Hartmann. Es folgten Morddrohungen, unter anderem unter Postings, die Erika Steinbach erstellt hat. Sie war lange in der CDU, der Partei Lübckes. Heute ist sie Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Auch AfD-Funktionär*innen streuten den Videoclip, das Thema fand seinen Weg sogar auf die offiziellen Facebook-Seite der Bundespartei. Der Beitrag wurde dort wieder gelöscht – nach dem Mord. Die beiden Neonazis Ernst und Hartmann engagierten sich in der Vergangenheit persönlich für die AfD: Ernst spendete für Björn Höcke, ging zu Demos, half aktiv mit im hessischen Landtagswahlkampf 2018, sammelte Unterstützungsunterschriften, klebte Plakate, besuchte Parteiveranstaltungen und eine Wahlparty. Mitglied war er nach Angaben der AfD jedoch nicht. Ob sich Ernst und Zabel kennen, könnte sich vor Gericht noch herausstellen. Gesehen haben sie sich bereits, denn Zabel war Besucher der Verhandlung.

Zabel erneut angeklagt

In absehbarer Zeit wird sich Zabel auch selbst wieder vor einem Gericht verantworten müssen. Im Sommer erhob die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung im Amt, weil er während seines Dienstes in der JVA Dresden einen tunesischen Gefangenen gezielt misshandelt haben soll. Ein Prozesstermin am zuständigen Amtsgericht Dresden ist noch nicht bekannt. Ebenfalls angeklagt sind fünf Kollegen Zabels, die in der gleichen Einrichtung weitere ausländische Gefangene angegriffen und teils schwer verletzt haben sollen.

Hinweise auf diese Taten hatten sich im Zuge des Haftbefehls-Verfahrens ergeben. Auf Zabels Telefon konnte eine Chatgruppe ausgelesen werden, in der er unter anderem von „Kanacken-Klatschen wie in den 90ern“ sprach – und damit mutmaßlich die Ausschreitungen in Chemnitz meinte. Hinzu kamen eindeutige Neonazi-Parolen. Mehrere Berufskollegen lasen und schrieben mit, offenbar brüsteten sich einige mit Gewalttaten gegen Gefangene. Zabel ist nach wie vor Beamter, doch bereits seit längerer Zeit läuft ein Disziplinarverfahren.

Vom Dienst ist er daher suspendiert, so bleibt mehr Zeit für Politik. Ende 2018 trat Zabel der AfD bei, kandidierte im Frühjahr 2019 erfolglos zur Dresdner Stadtratswahl. Anfang 2020 zog er dann als Beisitzer in den Vorstand des AfD-Landesverbandes Sachsen ein. Die Partei hat sich von dem rechtsmotivierten Straf- und mutmaßlichen Gewalttäter in ihren Reihen bis heute nicht distanziert. Auch nicht von den einschlägigen Besuchern ihres „Trauermarschs“.