Landtagssitzung zur Pandemie: Harte Kritik an „Profilierungssucht“ der AfD

In Dresden trat heute der Landtag zusammen, die AfD hat darauf bestanden. Die demokratischen Fraktionen bekräftigten bei der Sitzung, angesichts der aktuellen Pandemie zusammenzustehen. Den Krisenplänen der extremen Rechten erteilten sie eine deutliche Absage.

Es war eine ungewöhnliche Sitzung, zu der das Landesparlament in Dresden zusammengekommen ist, und vielleicht auch für einige Zeit die letzte. Die AfD hatte darauf bestanden, dass sich die Abgeordneten und zahlreiche Mitarbeiter*innen in voller Stärke versammeln müssen und das Plenum zur größten Veranstaltung wird, die heute im Freistaat stattfinden darf. Dabei hatte das örtliche Gesundheitsamt das Risiko schon vor mehreren Tagen als „hoch“ eingestuft.

„Nicht mehr erreichbar für rationale Argumente“

Valentin Lippmann, Innenpolitiker der Grünen, rügte gleich zu Beginn, dass die AfD „ohne Not, ohne Sinn und ohne Verstand“ den Landtag antreten lasse. Nicht verwunderlich war es daher, dass in allen Fraktionsreihen Stühle leer geblieben sind. Aus der AfD-Fraktion fehlten Christiopher Hahn, Martina Jost, Wolfram Keil, Thomas Kirste, Ulrich Lupart und Gudrun Petzold. Die Abgeordnete Doreen Schwietzer, die ganz hinten rechts sitzt, nahm mit einer Gesichtsmaske platz. Schon vor mehreren Tagen hatte der AfD-Abgeordnete Carsten Hütter öffentlich gefordert, das Plenum ganz abzublasen, entgegen der Linie seiner Fraktion.

Die Sitzung begann um 10 Uhr mit einer Regierungserklärung. Der Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ergriff angesichts der besonderen Lage selbst das Wort und erläuterte, welche Maßnahmen die Landesregierung umsetzt, um der Corona-Pandemie beizukommen. Dass in dieser Situation der gesamte Landtag zusammentreten müsse, nannte er „unverantwortlich“. Am Schluss seiner Rede wandte sich Kretschmer mit scharfen Worten an die AfD: Er sei „entsetzt“ zu sehen, dass man dort nicht in der Lage sei, „aus der eigenen Hybris auszubrechen.“

Dann sprach er den Fraktions- und Landesvorsitzenden Jörg Urban direkt an und warf ihm vor, in einer Reihe zu stehen „mit Höcke in Thüringen, mit Kalbitz in Brandenburg“. Beide gelten seit kurzem offiziell als „Rechtsextremisten“, sie sind Anführer des verfassungsfeindlichen AfD-Flügels, dem auch Urban angehört. Kretschmer beschied ihm, „dass Sie sich so weit radikalisiert haben, dass Sie nicht mehr erreichbar sind für rationale Argumente“. Er könne sich nicht vorstellen, dass sämtliche AfD-Abgeordneten „diesen Kurs richtig finden“, denn die erzwungene Sitzung „ist unmittelbar gefährlich für sehr, sehr viele Menschen.“

Urban warnt vor „Spaltern und Hetzern“

Jörg Urban mochte das nicht auf sich sitzen lassen. Dass das Parlament heute mit so vielen Abgeordneten und trotz erheblicher Infektionsrisiken tagt, liege nicht an der AfD, sondern am zögerlichen Handeln der Landesregierung und der Weigerung der anderen Fraktionen, weitergehende Schritte zu beschließen. Die „ersten zielgerichteten Maßnahmen“ in Sachsen seien zu spät veranlasst worden und das, was jetzt unternommen werde, spreche für „Zögerlichkeit“. Schallendes Gelächter brach aus, als Urban seine Rede mit den Worten beendete: „Folgen Sie in dieser Krise nicht weiter den Spaltern und Hetzern.“

CDU-Fraktionschef Christian Hartmann entgegnete, die AfD habe zum Thema „außer Panikdebatten nichts Konstruktives beizutragen.“ Der Tenor unter allen demokratischen Fraktionen war klar: Die Bevölkerung ist mit einer schweren Krise konfrontiert, aber nicht mit einer Katastrophe. Alle aktuellen Maßnahmen dienen dazu, sie abzuwenden, und nicht, sie herbeizureden. Susanne Schaper, Sozialpolitiker der LINKEN, sah das ähnlich. Das Gesundheitssystem stehe unter erheblichem Druck, auch durch Sparmaßnahmen in der Vergangenheit. Aber die „Profilierungssucht einer einzigen Fraktion“ helfe jetzt nicht weiter. Eine deutliche Mehrheit lehnte im Anschluss einen Antrag der AfD-Fraktion ab, in dem gefordert wurde, den Katastrophenalarm auszulösen – neben etlichen weiteren Maßnahmen, die aber zum Teil bereits ergriffen worden sind.

Weil der Antrag kurzfristig eingereicht wurde, musste zunächst dessen Dringlichkeit festgestellt werden, um ihn überhaupt behandeln zu können. Das gelang der AfD mit Stimmen der CDU, die das mit parlamentarischen Gepflogenheiten begründete. Dem noch weitergehenden Verlangen der AfD, aus dem Antrag einen eigenen Tagesordnungspunkt zu machen, erteilten die meisten Abgeordneten jedoch eine Absage. Dadurch wäre die Plenarsitzung, die sich zur Pandemie mehr als vier Stunden lang ausgetauscht hat, noch weiter verlängert worden. Ein zweiter Antrag der AfD zum gleichen Thema, der schon länger vorliegt und dem gefordert wird, Grenzen zu schließen und Migrant*innen in Zwangsquarantäne zu nehmen, wurde ebenfalls abgelehnt.

AfD hat Sitzung erzwungen

Bis zuletzt stand es auf der Kippe, ob die Plenarsitzung in der gewohnten Form stattfindet. Bereits am Montag hatten die Fraktionsspitzen lange beraten, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen wollen. Eine Verschiebung beider Sitzungstage in dieser Woche stand im Raum, der Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) hätte stattdessen – das war eine mögliche Lösung – das sogenannte Notparlament einberufen können. Ihm gehören nur 21 Abgeordnete an, das Gremium wurde speziell für Krisenzeiten geschaffen. Alle Fraktionen gaben schnell grünes Licht für die Idee, wenn, dann in kleinstmöglicher Besetzung zu tagen.

Außer die AfD: Sie verhinderte einen Kompromiss und verlangte, dass unverändert alle 119 Abgeordneten zu einer regulären Sitzung einberufen werden. Hinzu kommen noch einmal fast ebenso viele Mitarbeiter*innen. Weil die anderen Fraktionen bereit waren, ihre Debattenthemen und Anträge von der Tagesordnung zu nehmen, blieb nur noch ein Sitzungstag übrig – der heutige Mittwoch, an dem nur das Nötigste behandelt werden sollte.

Doch auch hier nahm die AfD eine Sonderrolle in Anspruch und hielt daran fest, dass ihre eigenen Initiativen zum Umgang mit der Pandemie unbedingt behandelt und abgestimmt werden. Offenbar wollte die AfD Lohrbeeren einheimsen, indem das Parlament auf dieser Grundlage weitergehende Maßnahmen beschließt und den Katastrophenalarm auslöst. Doch dafür ist in Wirklichkeit gar kein Landtagsbeschluss nötig, schon gar kein Antrag der AfD. Eine andere Frage ist, ob so ein Schritt im Moment nützlich wäre.

Auch AfD-Abgeordnete hatten Infektionsangst

Mit dem Ziel, etwas aktuell Nützliches zu tun und das Risiko für alle Beteiligten zu minimieren, trafen sich die Fraktionsspitzen gestern erneut und diskutierten einen weiteren Vorschlag des Landtagspräsidenten. Zuvor soll die AfD ausdrücklich signalisiert haben, offen für Verhandlungen zu sein. Beraten wurde dann, ob das Parlament in reduzierter Besetzung tagen könnte, so dass es gerade noch beschlussfähig wäre. Für das sogenannte Pairing-Verfahren hätten alle Fraktionen einen Teil ihrer Abgeordneten nach einem Verteilungsschlüssel zurückziehen müssen, so dass die Kräfteverhältnisse gewahrt bleiben.

Doch auch dieser Versuch scheiterte an der Weigerungshaltung der AfD. Einem Mini-Plenum zustimmen wollte die Fraktion nur, wenn im Gegenzug ein AfD-Antrag angenommen wird. Offenbar wollte sich niemand derart nötigen lassen, zumal das Abstimmungsverhalten die Sache der einzelnen Abgeordneten ist. Zu einer Einigung kam es folglich nicht.

Kaum wurde bekannt, dass der Schlichtungsversuch geplatzt ist, gab es die nächste und bisher schrägste Wendung. In einer Pressemitteilung forderte Jan Zwerg, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, dass der Landtagspräsident nun doch das Notparlament einberuft. Dafür war es aber schon zu spät. Möglicher Grund für diese Rolle rückwärts: Zwischenzeitlich war durch Recherchen der Freien Presse bekannt geworden, dass mehrere AfD-Abgeordnete fraktionsintern angekündigt haben, nicht zu erscheinen – aus Angst vor einer Infektion.