Dresdner Erklärung ist „verfassungsschutzrechtlich relevant“

Zahlreiche sächsische AfD-Mitglieder haben sich im vergangenen Jahr mit den Rechtsaußen-Kräften in der Partei solidarisiert. Das fällt ihnen jetzt auf die Füße: Mindestens 30 dieser Personen rechnet das Innenministerium dem völkisch-nationalistischen Flügel zu – und weitet die Verfassungsschutz-Beobachtung im Freistaat offenbar aus.


Beitrag vom 11.01.2021, 16:30 Uhr │ Im Bild: das inzwischen nicht mehr gebräuchliche Flügel-Logo.


Innenministerium nennt erstmals eine Zahl

Sächsische AfD-Politiker*innen, die im vergangenen Frühjahr die sogenannte Dresdner Erklärung unterstützt haben, müssen mit einer Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz rechnen. Das bestätigte Innenminister Roland Wöller (CDU) bei der Beantwortung einer Landtagsanfrage des AfD-Abgeordneten Carsten Hütter. Die Unterzeichnung des Textes sei demnach ein „wichtiger Indikator“ für die Zuordnung zum verfassungsfeindlichen Flügel, der im März als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde. Kurz darauf drängte der Bundesvorstand der Partei zur Auflösung dieser Gruppe um Björn Höcke und den später ausgeschlossenen Neonazi Andreas Kalbitz.

Mit der Dresdner Erklärung reagierten im April namhafte Teile der hiesigen Landespartei auf den damals eskalierenden Machtkampf in der AfD und riefen im Rahmen einer breit angelegten Solidaritätskampagne der Rechtsaußen-Kräfte zur „Vereinigung aller Kräfte und Strömungen“ auf. Weiter hieß es, dass man künftig „nur solche Personen respektieren und fördern“ werde, „die sich diesem Ziel verpflichtet sehen“. Nach Auffassung des Innenministeriums sind diese Ausführungen „verfassungsschutzrechtlich relevant“: Sie können in Kombination mit weiteren Erkenntnissen als „eindeutige politische Standortbestimmung“ und „Ausdruck einer extremistischen Bestrebung“ verstanden werden.

Mehr als 250 Namen finden sich unter der Dresdner Erklärung, darunter als Erstunterzeichner der Parteivorsitzende Tino Chrupalla, die sächsische Landesspitze um Jörg Urban sowie bekannte Abgeordnete aus Europaparlament, Bundestag und Landtag. An erster Stelle der „weiteren Unterzeichner“ wird Andreas Kalbitz aufgeführt. Insgesamt stammen rund 100 Unterzeichner*innen aus Sachsen. Bei mindestens 30 von ihnen liegen „weitere Indikatoren vor, die im Rahmen einer Gesamtschau für eine Zugehörigkeit zum Flügel sprechen können“, so Wöller. Damit benennt das Innenministerium erstmals eine konkrete Zahl mutmaßlicher Flügel-Mitglieder in Sachsen.

Beobachtung weitet sich aus

Es handelt sich dabei um einen Mindestwert. Einer idas-Auswertung zufolge, die sich allein auf öffentlich zugängliche Quellen stützt, können rund 350 sächsische AfD-Mitglieder dem völkisch-nationalistischen Spektrum zugeordnet werden. Aus Parteikreisen waren in der Vergangenheit noch viel höhere Schätzungen abgegeben worden. So sagte Anfang 2018 Jan-Oliver Zwerg, Generalsekretär der Sachsen-AfD, dass 60 bis 70 Prozent der Landespartei hinter dem Flügel stehen. Im Folgejahr nannte der Bundestagsabgeordnete Jens Maier ebenfalls 70 Prozent als einen Richtwert – das wären mehr als 1.800 Personen. Maier war zuletzt „Obmann“ des Flügels in Sachsen. Im Zuge der vorgeblichen Auflösung deutete er an, dass diese „Haltungsgemeinschaft“ ihre Arbeit fortsetzen werde. Er unterschrieb ebenfalls die Dresdner Erklärung und gilt bereits offiziell als Rechtsextremist (idas berichtete zuerst).

Eine Mitgliederliste hat der Flügel nicht geführt, daher stützen sich auch Behörden auf Angaben der Partei. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schätzt, dass mindestens ein Fünftel aller AfD-Mitglieder hinter der Höcke-Strömung steht, so hatte es Bundeschef Jörg Meuthen behauptet. Mehrfach deutete das BfV an, dass man diese Zahl bereits durch eigene Erkenntnisse bestätigen könne – und der Flügel seine Macht in den vergangenen Monaten sogar noch ausgebaut habe. Dieser Umstand spielt eine maßgebliche Rolle für die Frage, ob die bisher als Prüffall behandelte Gesamtpartei unter Beobachtung genommen wird. Mit einer Entscheidung wird in Kürze gerechnet.

Das hiesige Landesamt für Verfassungsschutz, das sich mit dem sächsischen AfD-Verband befasst, hat die Prüffallphase bereits abgeschlossen. Die Behörde hatte sich zunächst auf einige wenige Abgeordnete konzentriert, die zugleich einen herausgehobenen Einfluss auf die Entwicklung der Landespartei haben. Offenbar nimmt man inzwischen deutlich mehr Personen ins Visier.