„Diesen Sachverhalt kenne ich nicht“

 Plenarsaal │ Jugendorganisationen anderer Parteien sollen kein Geld mehr bekommen, forderte AfD-Fraktionsmitglied Martina Jost im Landtag – und blamierte sich dabei: Auf den Einwurf, dass bereits ein Prozess beim Sächsischen Verfassungsgericht anhängig ist, gab sie sich völlig ahnungslos. Dabei zitierte sie sogar wörtlich aus der Klageschrift und unterschrieb eigenhändig eine Vollmacht.


Beitrag vom 18.12.2020, 17:15 Uhr │ Im Bild: AfD-Abgeordnete Martina Jost.


In zwölf Sekunden bloßgestellt

Nach eigenen Worten „ein bisschen aufgeregt“ war die AfD-Abgeordnete Martina Jost, als sie am Mittwoch im Landtagsplenum das Wort ergriff und auf dem Weg zum Mikrofon ihre Maske vergaß. „Keine Absicht“, entschuldigte sie sich, um dann einen Antrag ihrer Fraktion vorzustellen. Er richtet sich gegen den Ring politischer Jugend (RPJ), einen Verein, über den der Freistaat Fördermittel an Nachwuchsorganisationen von Parteien verteilt, gedacht für Projekte im Bereich der politischen Bildung. Die verfassungsfeindliche Junge Alternative profitiert davon nicht, denn die Aufnahme der AfD-Jugendgruppe werde durch den RPJ „hartnäckig verweigert“, beklagte Jost. „Da stimmt etwas nicht“, vermutete sie. Angeblich gehe es darum, „die AfD so klein wie möglich zu machen und sich damit einer Oppositionspartei zu entledigen“.

Josts Fraktion will den RPJ dafür bestrafen. Der Verein soll die Gemeinnützigkeit verlieren und künftig keine staatlichen Zuwendungen mehr erhalte. Wenn die Junge Alternative leer ausgeht, so die rechte Logik, dürfe niemand etwas bekommen. Was die AfD einstweilen nicht bekam, war eine Debatte zu diesem Thema. Zwar meldete sich sogar Sozialministerin Petra Köpping (SPD) zu Wort. Doch ihr genügten exakt zwölf Sekunden, um die Abgeordnete auflaufen zu lassen. Zum RPJ und der Förderung von Jugendorganisationen sei ein „gerichtlicher Klärungsprozess“ anhängig, erklärte Köpping. „Deswegen wird sich die Staatsregierung zu diesem Punkt im Moment nicht äußern.“ Jost wirkte entgeistert: „Diesen Sachverhalt kenne ich nicht, den Frau Köpping hier vorgebracht hat.“

Doch die Ministerin hat recht. Seit längerem und durchaus trickreich hatte die AfD-Fraktion eine Klage vorbereitet, um den RPJ trockenzulegen, wie eine idas-Recherche im Sommer aufgedeckt hatte. Der Gang zum Sächsischen Verfassungsgerichtshof in Leipzig war nur noch eine Frage der Zeit. Dort bestätigt man, dass bereits im September eine umfangreiche Klageschrift eingegangen ist, ein Antrag für eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle. Ziel: Das Haushaltsgesetz für die Jahre 2019 und 2020, das für den RPJ Landeszuschüsse in einer Höhe von jeweils 209.400 Euro vorgesehen hat, soll für verfassungswidrig erklärt werden. Das Hauptargument der Klage ist rein formal, demnach fehle eine spezielle gesetzliche Grundlage. Keine Rolle spielt hingegen, dass die Junge Alternative außen vor bleibt.

Landesregierung will Förderung fortsetzen

Könnte Martina Jost die Klage entgangen sein, die ihre eigene Fraktion anstrengt? Das ist unwahrscheinlich. Klagebevollmächtigter ist der Jurist Michael Elicker, der die sächsische AfD und deren Landtagsfraktion des Öfteren in Prozessen vertritt. Im aktuellen Verfahren handelt Elicker im Auftrag sämtlicher der insgesamt 38 AfD-Landtagsabgeordneten. Sie haben eine entsprechende Vollmacht unterzeichnet, auch die eigenhändige Unterschrift der Abgeordneten Jost ist nach idas-Informationen dabei. Mehr noch: Teile ihrer Rede, die sie am Mittwoch im Landtag hielt, stimmen wortwörtlich mit Passagen aus der Klageschrift überein. Auf Josts Facebook-Seite ist die Rede inzwischen zu sehen, aber nicht die entwaffnende Erwiderung der Sozialministerin. Die AfD-Fraktion hat zudem eine Pressemitteilung verschickt, „Steuergeldverschwendung“ lautet darin der Vorwurf. Zur anhängigen Verfassungsklage äußert man sich hingegen nicht.

Damit hat es die AfD offenbar auch nicht eilig. Einen Antrag, im Eilverfahren eine einstweilige Anordnung zu treffen, hat Anwalt Elicker nicht gestellt. So wird man der Sache vermutlich nicht vor Frühjahr kommenden Jahres nachgehen, deutet man in Leipzig an. Das angegriffene Haushaltsgesetz wird dann längst nicht mehr in Kraft sein, derzeit bereitet der Landtag den neuen Doppelhaushalt für 2021 und 2022 vor. Im Entwurf, der seit dieser Woche vorliegt, hält die Regierung an der Förderung des RPJ in der bisherigen Form fest. Die Zuschüsse sollen sogar leicht steigen, angesetzt werden künftig 213.000 Euro pro Jahr.

Derweil sind beim Sächsischen Verfassungsgericht weitere AfD-Klagen anhängig, etwa gegen das Wahlgesetz, gegen die Finanzierung parteinaher Stiftungen und gegen die Corona-Schutzverordnung von Ende Oktober, also den „Light-Lockdown“. Mit einer ganzen Serie juristischer Schläge kostet die Fraktion ihre Stärke aus – mindestens ein Viertel der Abgeordneten braucht es etwa, um Normenkontrollklagen zu lancieren, bei denen das Verfassungsgericht prüfen muss, ob landesrechtliche Regelungen verfassungsgemäß sind. Mitunter hat die AfD jedoch das Nachsehen, erst neulich scheiterte die Fraktion daran, den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses zu verklagen, der sich mit der Kappung der Partei-Liste zur Landtagswahl im vergangenen Jahr befasst. In dem Zusammenhang hatte die AfD wiederholt angekündigt, wiederum vor das Verfassungsgericht zu ziehen, um Neuwahlen zu erzwingen. Doch am Ende schreckte man davor zurück.