Knüppel aus dem Sack

Rezension │ Ein neuer Sammelband fragt, warum viele Polizist*innen der AfD zuneigen. Nachvollziehbare Antworten liefert das Buch, das unter anderem durch den sächsischen Landtagsabgeordneten Sebastian Wippel herausgegeben wurde, leider nicht. Dafür bietet es erstaunlich ehrliche, mitunter unangenehme Einblicke in eine zutiefst autoritäre Gesinnung. Die Sicherheitspolitik der Partei fordert Einsatzkräfte, die nicht „Freund und Helfer“ sind – sondern Gehorsam bewaffnet erzwingen.


Beitrag vom 24.09.2020, 19:00 Uhr


„Maximal robustes Auftreten“

Die AfD buhlt um die Gunst von Polizist*innen, mit einigem Erfolg. Unter allen Abgeordneten der Partei im Bundestag und in den Landtagen gibt es knapp zwei Dutzend Polizeiangehörige, ihr Anteil ist damit ungefähr doppelt so hoch als etwa bei den Unionsparteien und bei der SPD. In eine Zeit, in der sich Berichte über rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden abermals häufen, passt der soeben im rechten Gerhard-Hess-Verlag erschienene Sammelband „Warum Polizisten AfD wählen“ gut hinein, zumindest wenn man nach dem Titel geht. Den schmalen Band haben der Europaparlamentarier Lars Patrick Berg, das Bundestagsmitglied Martin Hess und der sächsische Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel herausgegeben. Sie und die weiteren sieben Autoren, sämtlich Männer, gehören zur AfD und sind überwiegend selbst Polizisten.

Doch den kurzen Beiträgen gelingt es durchweg nicht, die selbstgestellte Frage zu beantworten, zumeist spielt sie auch gar keine Rolle, sondern wird als Tatsache unterstellt. Laut Wippel sei „zunehmend die Entwicklung zu beobachten, dass sich Angehörige der Polizei für eine aktive Mitgliedschaft in der AfD entscheiden.“ Doch Versuche, das mit Zahlen zu untermauern, unternimmt er erst gar nicht. Stefan Koch, der nur als Bundespolizist vorgestellt wird, rühmt die AfD als diejenige Partei, die „wie keine andere“ für die Wiederherstellung der Sicherheit stehe und der Polizei politisch den Rücken stärke. Der Mannheimer AfD-Kommunalpolitiker Jörg Finkler meint, dass die AfD dadurch gut ankomme, dass sie sich „mehr an dem ‚Law-and-Order-Prinzip‘ orientiert“. Das könnte auch in Wahlkampfflyern stehen, und wer danach sucht, findet tatsächlich ein ganzes Buchkapitel auf einer Parteiwebsite.

Am ehesten gelingt es noch Martin Hess, die sicherheitspolitischen Positionen der AfD anhand ihrer Bundestagsinitiativen zu skizzieren. Sein Resümee: „Seit die Alternative für Deutschland 2017 in den Deutschen Bundestag eingezogen ist, macht endlich wieder eine Partei Politik für die Polizei“. Hess bringt das auf eine einfache Formel. Zu lange sei „einseitig auf die Strategie der Deeskalation gesetzt“ worden, stattdessen müsse die Polizei auf „maximal robustes Auftreten“ getrimmt werden. Statt der Bindung an „lasche“ Gesetze brauche es Gummischrot und Taser, und wenn das nichts bringt, „ist der Einsatz der Schusswaffe unumgänglich“. Die sogenannte Politik für die Polizei, die man bei der AfD betreibt, ist damit ein plumpes Knüppel-aus-dem-Sack-Mantra. Falls Polizist*innen aus diesem Grund der AfD zuneigen sollten, wäre das Polizeiproblem noch viel gravierender als gedacht. Es verwundert beim Lesen, wie unbekümmert Haudrauf-Parolen vorgetragen werden, während an mehreren Stellen des Buches davor gewarnt wird, dass der Rechtsstaat in Gefahr sei und Deutschland in eine Diktatur abgleite.

Kritik? Immer links!

Was alle Beiträge miteinander vereint, sind Schreckensdiagnosen über den Zustand des Landes, das immer unsicherer werde. Deutschland sei voller „No-go-Areas“, ist da zu lesen, fest in der Hand von Familienclans, „angeblichen Asylanten“ und Islamisten. Hinzu kämen Muslime, die bei Hochzeitsfeiern „ihrer Landessitte entsprechend in die Luft schießen“. Die Polizei könne nicht einschreiten, dürfe „gegen bestimmte kriminelle Klientel“ aus politischen Gründen ohnehin nicht vorgehen, werde zugleich „immer häufiger, oftmals von Linksextremisten, auch in ihrer Freizeit und im privaten Raum attackiert“. Mit einigen Autoren geht die Phantasie vollends durch, wenn sie verkrampft nach weiteren Beispielen suchen. So wird etwa behauptet, dass die Antifa unbehelligt wüten dürfe, während „bei nahezu jeder Demonstration, die von ‚Rechtsextremen‘ angemeldet wird, eine Verbotsverfügung ausgesprochen“ wird. Schlicht falsch ist auch die Behauptung, dass Berlin die Stadt mit der höchsten Mordrate Europas sei.

Hinzu kommt Verdruss durch geknickte Karrierepläne. Weil der Aufstieg in der Beamtenlaufbahn Zeit frisst, sei ein fieser „Dienstgradsozialismus“ am Werk, heißt es an einer Stelle – ein Urteil, das man auf die Privilegien unbefristeter Beschäftigung und sicherer Altersversorgung freilich nicht anwendet. In beinahe allen Beiträgen wird dagegen moniert, dass der Polizei in der Öffentlichkeit kein Respekt mehr entgegengebracht werde. Man vermisst an diesen Stellen aktuelle Beispiele wie jenes, das sich neulich im Bundestag abgespielt hat. Da erhoben sich alle Fraktionen von den Stühlen und applaudierte den wenigen Polizist*innen, die verhindert haben, dass Neonazis und Reichsbürger ins Parlamentsgebäude eindringen. Nur die AfD blieb sitzen und klatschte nicht.

Dabei ist die Sache mit dem Respekt aus AfD-Sicht recht einfach, glaubt man dem Buch: Man muss ihn sich verdienen, verschaffen, ja dadurch erzwingen, „dass die Polizei ihr Verhältnis zum Gewaltmonopol wiederbelebt, sich selbst als die Ordnungsmacht im Lande begreift“, statt „als Bittsteller an die Bevölkerung“ heranzutreten. Das ist weit weg vom Berufsbild und Aufgabenfeld einer demokratischen Polizei (und auffällig nah dran an archaischen Vorstellungen von „Ehre“). Man sieht das auch daran, dass sämtliche Autoren jegliche Kritik an der Polizei ins Unrecht setzen. „Polizisten sind nicht Täter“, heißt es apodiktisch, und wer auf „angebliche“ Diskriminierung bei polizeilichen Maßnahmen hinweist, zähle schon zu den „politischen Feinden unserer Polizei“. Kritische Untersuchungen seien „Pseudowissenschaft“ und „linke Propaganda“ von „linken Forschern“.

AfD verlangt nicht Respekt, sondern Gehorsam

Dieser Reflex zur Kritikabwehr ist selbst aus Polizeisicht völlig widersinnig. Es entspricht einem illiberalen Konservatismus, jede Kritik als intendierte Schwächung der staatlichen Ordnung abzutun, die Autorität untergraben und den „Respekt“ vor den Institutionen beschädigen wolle. Diese Trotzhaltung ist keine Erfindung der AfD. In Reinform ist sie erst vor wenigen Tagen in Dresden aufgeführt worden, als ein sichtlich überforderter Beamter einige Demonstrierende mit dem Satz „Schubs mich und du fängst dir ’ne Kugel“ bedrohte und seine Schusswaffe ein Stück aus dem Holster zog. Die Sache hätte damit sein Bewenden haben können, das Fehlverhalten offiziell einzuräumen. Doch der Beamte wurde sofort durch seinen Dienstherrn in Schutz genommen, und zwar mithilfe von offenkundigen Falschbehauptungen, die kurz darauf der Ministerpräsident persönlich beglaubigt hat. Nicht die Kritik am Vorgehen eines einzelnen Polizisten untergräbt hier das Vertrauen in die Institution Polizei, sondern das haltlose und – ja – dumme Insistieren auf deren Unfehlbarkeit.

Diese demokratiefremde Mentalität sollte mitbedenken, wer die Sicherheitspolitik der AfD verstehen will, deren Inkonsistenzen eingeschlossen. So echauffiert sich Martin Hess darüber, dass die TAZ-Kolumnisten Hengameh Yaghoobifarah „unseren Polizisten“ eine „autoritäre Persönlichkeit“ vorwarf. Nur einige Seiten weiter wird lamentiert, dass die Polizei nun einmal nicht immer „Freund und Helfer“ sein könne, sondern „als Vertreter des Staates autoritär auftreten und handeln“ müsse. Die TAZ-Kolumnistin hatte demnach womöglich Recht. In AfD-Kreisen stört man sich bloß daran, dass der Polizei genau das zum Vorwurf gereicht, was man ihr gern hoch anrechnen würde. Fraglich bleibt, ob die AfD damit in irgendeiner Weise das Vertrauen in die Polizei stärken kann, wenn sie doch darauf setzt, es im Zweifel herbeizuzwingen. Auf diese Weise entsteht aber kein Vertrauen, auch kein „Respekt“, sondern untertäniger Gehorsam.

Ein gewisser Trost ist es, dass die AfD-Argumentation kaum überzeugend sein kann für Menschen, die der Partei nicht bereits nahestehen, dafür ist sie schlicht zu unlogisch. Es ist wieder Martin Hess, der behauptet, dass „Messerkriminalität“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik absichtlich nicht richtig erfasst werde, damit die Regierenden „die wahren Ursachen“ verschleiern können. Eine Seite später fällt dem gleichen Autor ein, dass die Kriminalstatistik sowieso völlig unzuverlässig sei, egal was darin auftaucht oder nicht. Diejenigen, die durch eigenes Erleben „am frühesten und am stärksten wahrnehmen“ können, was wirklich geschieht, seien die Polizist*innen. Deren Erfahrungen würden zeigen, dass es mehr „Messerkriminalität“ gebe, seitdem mehr Ausländer im Land sind. Und für die Sache mit den Ausländern fänden sich dann plötzlich doch klare Belege in der Kriminalstatistik, obwohl die Regierenden genau das verschleiern wollten. So schnell gerät man in eine Chewbacca-Verteidigung.

Wippels konstruierte Biografie

Dann ist da noch Sebastian Wippel, der sächsische Landtagsabgeordnete, der den vielleicht konfusesten Beitrag des gesamten Buchs geschrieben hat. Die „Grundlagen für die Entscheidung der aktiven politischen Arbeit in der AfD“ seien bei ihm „bereits in der Kindheit gelegt“ worden, die er in der DDR verbrachte. Eine Zeit der „Sicherheit und Geborgenheit“ sei das gewesen, seine Erziehung „sehr konsequent, aber liebevoll“ ausgefallen. Wippels Ausführungen machen ratlos: Sucht er in der Partei ein funktionales Äquivalent für seine Elternhaus, das ihm neue Geborgenheit verschafft? Oder sucht er eine Plattform, um mit den Erziehungsprinzipien von Zuckerbrot und Peitsche, die ihm zuteilwurden, in größerem Stil andere Menschen zu beglücken? Das ist nicht die einzige Frage, die sich stellt. Seine acht Seiten hat er überschrieben mit „Eine Biografie“, doch wer weiterliest, weiß nicht so recht, wessen Biografie das sein soll.

In den vergangenen Jahren habe er eine „sich stetig verstärkende Tendenz zur Unterdrückung von politisch nicht gewollten Tatsachen“ bemerkt, etwa im Umgang mit Pegida und der AfD, vor allem aber im Zuge der „großen Flüchtlingsbewegung von 2014/2015“. All das „erinnerte mich in sehr beunruhigender Weise an das untergegangene sozialistische System der DDR“, in dem er sich eben noch geborgen fühlte. Daher jedenfalls „beschäftigte ich mich eingehender mit den Parteien“ – und schloss sich der AfD an. Klingt schlüssig, ist aber unwahr, in mehrfacher Hinsicht. Wippel trat der Partei nämlich bereits 2013 bei, damals gab es Pegida noch gar nicht, und als die Protestserie begann, saß der Polizeibeamte schon im Landtag. Bevor er dort landete, hatte er sich schon einmal „eingehender mit den Parteien“ beschäftigt, war er mehrere Jahre lang bei der FDP aktiv, sogar als Kreisfunktionär. In dieser Zeit, als es die AfD noch nicht gab, erschien ein Leserbrief in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit. Ein gewisser Sebastian Wippel teilte dort 2011 mit, dass er durch die Lektüre dieses Blattes dazu gekommen sei, sich „aktiv politisch zu bilden und betätigen, Dinge tiefer zu hinterfragen.“

Ein schönes Prinzip ist das, bei dem man nicht vergessen sollte, es auf sich selbst anzuwenden; und sei es durch Unterstützung eines Lektorats, das leider ausgefallen ist. Es klingt unfreiwillig komisch, wenn Wippel über seine Polizeiausbildung schreibt, dass er dabei „nach und nach“ und „zumindest in Grundzügen“ verstanden habe, wie das politische System der Bundesrepublik funktioniert. Die Formulierung lässt offen, ob er über die „Grundzüge“ hinaus noch etwas mehr begriffen hat. Gewonnen habe er allerdings die Einsicht, „dass die besten Gesetze der Welt nichts wert sind, wenn sie keine Anwendbarkeit erfahren.“ Konkrete Beispiele, wie Gesetze „Anwendbarkeit erfahren“ oder vermissen können, dürfe er „aus dienstlichen Gründen“ leider nicht nennen. Vielleicht vermochte er aber auch einfach nicht, seine Gedanken ordentlich auszudrücken. Das belustigt, der Rest des Bandes schockiert.


Lars Patrick Berg/Martin Hess/Sebastian Wippel (2020): Warum Polizisten AfD wählen. Bad Schussenried: Gerhard Hess Verlag. 102 S., broschiert, 11,99 Euro.