Der „Rassenkrieger“ und die AfD

Mitglieder der Leipziger Burschenschaft Germania betrieben Vorbereitungen für den „Tag X“ und rüsteten zum „Rassenkrieg“. Neue Recherchen zeigen: Die Beteiligten planten offenbar einen Angriff auf eine Politiker*in, mit Wissen eines Staatsanwalts. Der mutmaßliche Wortführer Michael Volker Schuster hatte zudem enge Verbindungen zu sächsischen AfD-Abgeordneten – bis hin zum Vizepräsidenten des Landtags.

Nur eine „Zeitungsklamotte“?

Für Sachsens älteste Burschenschaft, die Germania aus Leipzig, läuft es derzeit nicht rund. Das Facebookprofil der schlagenden Studentenverbindung ist verschwunden, etliche Mitglieder sind auf Tauchstation gegangen. Wer sich auf der offiziellen Website nach kommenden Veranstaltungen erkundigt, bekommt eine leere Seite zu Gesicht – und einen „Hinweis zur aktuellen Berichterstattung“. Darin zeigt man sich „überrascht“ von den „bekannt gewordenen Inhalten privater Chatprotokolle einiger weniger Mitglieder“, die man keineswegs billige. Manche Protagonisten seien inzwischen, „soweit ihnen der Vorwurf eines persönlichen Verschuldens gemacht werden konnte“, nicht mehr Mitglied der Burschenschaft.

Über sie hatten vor einem Monat die Tageszeitung taz, das Rechercheportal Sachsen-Anhalt rechtsaußen und idas ausführlich berichtet. Demnach haben Mitglieder der Germanen seit 2015 in einer Facebook-Chatgruppe über Vorbereitungen zu einem „Endkampf“ diskutiert, über die möglicherweise illegale Beschaffung von Waffen und die Teilnahme an Wehrübungen beim Reservistenverband der Bundeswehr. Thema war auch die Einrichtung eines „Zufluchtsorts“, in dem man sich verschanzen würde, wenn der „Tag X“ anbricht. Die militanten Germanen wähnten sich in einem „Rassenkrieg“.

Was aufhorchen ließ: Mehrere Germanen waren eng mit der AfD verbunden, die beiden Leipziger Burschenschafter Hannes Rother und Michael Volker Schuster – einer der Wortführer in den Chats – arbeiteten sogar für die sachsen-anhaltische AfD-Landtagsfraktion. Schuster, „Wolf“ genannt, fand die Stimmung dort gar „ausgelassen hitleristisch“. Im Magdeburger Landtag musste sich die AfD deshalb unangenehme Fragen gefallen lassen. Antworten fand sie nicht: Fraktionschef Oliver Kirchner sagte bei der vorletzten Plenarsitzung, er könne nun einmal „in keinen Kopf eines Mitarbeiters schauen“. Sein Fraktionskollege Robert Farle nannte die belastenden Berichte eine „alte Zeitungsklamotte“. Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig wurde unterdessen ein Prüfvorgang angelegt. Dort, bei der Polizei und beim sächsischen Verfassungsschutz erfuhr man erstmals aus den Medien von den Vorgängen.

Drastischer Rassismus

Inzwischen liegen idas neue Dokumente aus dem Innenleben der Burschenschaft und der AfD vor. Die Unterlagen enthalten ernstzunehmende Hinweise, dass Germania-Mitglieder über ihre Gewaltphantasien hinaus gegangen sind und einen Überfall auf eine Politiker*in geplant haben. Zudem waren die Verbindungen des mutmaßlichen Rädelsführers Schuster zur Rechtspartei viel enger als bisher bekannt. Er kennt mehrere sächsische AfD-Abgeordnete persönlich, unter ihnen ist auch der Landtags-Vizepräsident André Wendt. Und: Von den Enthüllungen aus den Prepper-Chats konnte man in Schusters Umfeld keineswegs überrascht sein.

Unter den Bundesbrüdern nämlich, die sich nach außen stets als traditionsbewusste Konservative geben, waren Ton und Sitten schon lange eher rau und braun. In E-Mails grüßten sich die Germanen jahrelang mit „Heil Dir!“, wahlweise auch mit „Donnernden Heilsgrüßen“ oder, wie Schuster es mitunter tat, mit „Heil und Sieg“. Es blieb in diesen Kreisen unwidersprochen, wenn es hieß, dass „Kanacken (…) in Deutschland der Hauptfeind“ seien, oder wenn vom „Judensystem“ die Rede war. Schuster war ein Einheizer: Als vor rund zehn Jahren der völkisch-nationalistische Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) Schlagzeilen machte, weil man Mitgliedern eine Art Ahnenpass abverlangen wollte, entwarf er einen Artikel für das DB-Verbandsmagazin, die Burschenschaftlichen Blätter.

Dort wollte er begründen, „warum Mischlinge nicht Mitglied der Burschenschaft“ sein können. Schusters Antwort: „N**** oder Söhne Nippons“ seien bloß „fleischgewordenes Abbild des Abhandenkommens burschenschaftlicher Grundsätze“, zu denen die „Bewahrung deutscher Art, deutschen Wesens und deutschen Blutes“ gehöre. Die „Einwanderer fremder Rassen“ seien nichts anderes als „Gefährder unserer völkischen Eigenart“. Sie zu wahren heiße, den Kampf gegen eine „ausufernde Völkervermischung“ aufzunehmen. Ein Bundesbruder, dem Schuster das Manuskript zum Gegenlesen gab, bedankte sich für die „Denkanstöße“ – warnte aber vor den vielen „Begriffen aus Adi’s Zeiten“. Sie waren so zahlreich, dass der Artikel nie erscheinen konnte. Es wäre vom Text nicht viel übrig geblieben.

Deutliche Verbindungen in die Neonaziszene

Innerhalb der DB war die Germania schon zuvor mit ähnlichem Vokabular angeeckt. Aus ihren Reihen heraus soll 2009 beim Burschentag, dem jährlichen DB-Verbandstreffen in Eisenach, ein Gast einer anderen Verbindung aufs Übelste rassistisch beleidigt worden sein. Waren das vielleicht nur einzelne Ausrutscher? Wohl nicht. Bei der Germania redete man nämlich nicht nur so, wie es Neonazis tun, sondern man arbeitete auch unbekümmert mit ihnen zusammen.

Als man sich vor einigen Jahren eine neue Website entwerfen ließ, spannte man dafür Fabian S. ein, einen damaligen Neonazi aus der Kameradschaftsszene. Als man sich zum Jahreswechsel 2014/2015 um das Wohl des Hauses sorgte, in dem sich die Burschenschaft trifft, beauftragte der Alte Herr Alexander Pitzinger einen Security-Unternehmer aus der rechten Szene, Christian Pohle. Er hatte vorher in Leipzig ein Szenegeschäft mit Bekleidung für Neonazi-Kundschaft betrieben, bevor er in ein vermeintlich seriöseres Gewerbe wechselte. Einer der Geschäftsführer von Pohles Unternehmen, Felix Tessenow, wurde später Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Christoph Neumann.

Auch Gewalt war nie ein Tabu unter den Germanen. Vor einigen Jahren trat ein Student aus der Verbindung aus. Ihm war vorgeworfen worden, der Ex-Freundin eines anderen Burschenschafters Avancen gemacht zu haben. In diesen Kreisen ist das eine ernste Ehrverletzung. Konsequenz: Dem jungen Burschenschafter wurde auf der Germania-Etage aufgelauert, er wurde umringt, bedroht und geschlagen. Mehrere unbeteiligte Germanen beobachteten den Vorfall, griffen aber nicht ein.

Angriff auf Politiker*in geplant

Ein weiterer Fall zeigt, dass die Germanen womöglich sogar einen Überfall auf eine Politiker*in und deren Familie geplant haben. Das war im Frühjahr 2015, als man bei der Germania begeistert war von den rassistischen Pegida-Protesten in Dresden und dem noch radikaleren Ableger Legida in Leipzig. In der Hochphase der Straßenproteste sendete ein Alter Herr der Germanen, der Leipziger Rechtsanwalt Christoph Lutz, eine Mail mit dem Betreff „Da muss was passieren“ an rund zwei Dutzend Empfänger, allesamt Germania-Mitglieder, der harte Kern. Angehangen war ein Presseartikel, dem zufolge im Leipziger Stadtteil Wahren ein Neonazi verprügelt wurde.

Es sei nun „höchste Zeit“, kommentierte Lutz, „dass die Kutsche mal zurück“ zu der offenbar verhassten Politiker*in kehre und man sie sich vorknöpft. „Und wenn dieses Drecksvieh nicht zu schnappen ist“, könne man sich an der Mutter vergreifen, die Lutz mit vollem Namen benannte. Er setzte die Adresse eines Ladengeschäfts hinzu, in der die Mutter damals arbeitete. „Vielleicht findet der eine oder andere Stein seinen Weg“ in dieses Geschäft, sinnierte der Absender. Unter den Empfängern der Mail war unter anderem Michael Volker Schuster. Er wohnte zu dieser Zeit genau 800 Meter von dem Geschäft entfernt. Ein anderer Empfänger war der Germane Axel Knoll. Er ist gut bekannt mit Schuster und war sogar zu dessen Hochzeit eingeladen. Knoll ist im Hauptberuf Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Leipzig und war dort in der Vergangenheit auch für die Verfolgung politisch motivierter Straftaten zuständig.

Es ist nicht bekannt, ob Knoll oder andere Germanen versucht haben, ihre Bundesbrüder zu bremsen und von einer Gewalttat abzuhalten. Klar ist aber: Einen Angriff auf die Eltern der Politiker*in hat es rund ein halbes Jahr später wirklich gegeben. Unbekannt gebliebene Täter attackierten deren Wohnhaus, und zwar mit Steinen, wie es bei den Germanen vorgeschlagen worden war. Die Polizei nahm den Schaden auf und stellte die Ermittlungen bald ohne Ergebnis ein. Ungeklärt blieb damit auch, woher die Täter die Anschrift der Eltern kannten. Die Öffentlichkeit erfuhr von dem Vorfall gar nichts. Heute weiß man allerdings: Die Tat geschah just zu der Zeit, als die Fanatiker unter den Germanen begannen, über den „Endkampf“ zu chatten.

Unter dem Deckmantel der Bundeswehr

Überhaupt spielten Gewalt sowie das Interesse an Uniformen und Waffen stets eine große Rolle in der Lebenswelt der Germanen, auch für Michael Volker Schuster persönlich. Etliche Fotos zeigen ihn in Flecktarn-Uniform, manchmal mit eigenwilligen Ergänzungen, etwa dem schwarz-weiß-roten Germanenband, oder auch mit einem „Eisernen Kreuz“ um den Hals, das nach 1945 nicht mehr verliehen wurde. Nach seinem Wehrdienst war Schuster dem sächsischen Reservistenverband beigetreten und betätigt sich dort seit Mitte der 2000er-Jahre als Funktionär, zunächst als Landes- und Bundesdelegierter, zuletzt als Mitglied des Landesschiedsgerichts.

Andere Germanen gingen einen ähnlichen Weg, und es gelang ihnen, weitere Burschenschafter vom Beitritt zu überzeugen. In der Leipziger Verbindungsszene machte es offenbar einigen Eindruck, auch für die korporationsübergreifende Kommunikation offizielle Bundeswehr-Mailadressen zu verwenden. Vor allem aber eröffnete der Reservistenverband einen leichten Zugang zu Waffen. So fand im Jahr 2010 in Leipzig ein offizieller Schießsportwettkampf des Reservistenverbandes mit scharfen Repetiergewehren und Pistolen statt. Die meisten Beteiligten waren Burschenschafter. Als sie die Veranstaltung später unter sich auswerteten, bezeichneten sie die Veranstaltung als „Korporiertes Vergleichsschießen“.

Schuster besitzt auch privat Schusswaffen, seit 2009 ist er Inhaber eines Jagdscheins. So ein Dokument zu erwerben empfahl er vor einigen Jahren einem anderen Burschenschafter, denn es handle sich um „eine vergleichsweise günstige Investition zur Vorbereitung auf den großen Rassenkrieg“. Ähnlich äußerte er sich 2015 in einer E-Mail an Christoph Lutz. Zwar sei der Jagdschein teuer, meinte Schuster. Er monierte die „jüdischen Preise“, doch „was tut man nicht alles zur Vorbereitung des Rassekrieges“. Mit dieser Meinung war er in seinem Milieu kein Außenseiter, sondern geachtet genug, um beispielsweise jahrelang Einladungen zu internen Veranstaltungen der neonazistischen „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO) zu erhalten.

„Pöstchenjäger“ Schuster

Dass Schusters Weg nur wenig später zur AfD führen würde, war dagegen nicht vorprogrammiert und in der Parallelgesellschaft der Germanen sogar untypisch. Dort bevorzugt man eine idealistische Haltung jeder Parteipolitik. Einmal war Schuster für die „Deutsche Soziale Union“ (DSU) zur Kommunalwahl angetreten, ohne Erfolg allerdings und ohne der Partei beizutreten. Jahrelang war er außerdem Wahlhelfer für die Stadt Leipzig, ohne sich selbst parteipolitisch zu exponieren. Untereinander berichteten sich die Burschen, dass man manchmal CDU und manchmal „Protest“ wähle. Bevor die AfD entstand war damit die NPD gemeint.

Von der AfD war man zunächst auch nicht besonders angetan, Germanen besuchten einige Veranstaltungen der jungen Partei, doch bald stand das Urteil fest, dass es sich vor allem um „Deppen“ handle. So sahen das sogar Korporierte, die sich selbst in der AfD engagierten. Der Leipziger Rechtsanwalt Roland Ulbrich etwa meinte, nachdem die Partei 2014 erstmals in den Landtag eingezogen war, dass es sich doch bloß um eine „Hilfstruppe der CDU“ handle. Inzwischen ist Ulbrich selbst Abgeordneter der AfD.

Gerade durch ihre parlamentarischen Erfolge wurde die AfD zunehmend interessant für Germanen auf Arbeitssuche, für Leute wie Schuster, die nach zwei Dutzend Semestern an der Universität Leipzig nicht besonders viel Berufserfahrung hatten, sondern sich über Wasser hielten, indem sie bei älteren Bundesbrüdern jobbten. Nach der sachsen-anhaltischen Landtagswahl im März 2016 kursierten dann in Verbindungskreisen Stellenanzeigen für die neue AfD-Fraktion. Schuster war zunächst skeptisch und vermutete, dass schon genügend „Pöstchenjäger“ unterwegs seien. Aber ihm wurde gut zugesprochen, so dass er sich bewarb – und tatsächlich angestellt wurde. Seither war er Referent für Arbeit, Soziales und Integration. Zuletzt arbeitete er insbesondere dem Fraktionsvorsitzenden Oliver Kirchner zu, einem Flügel-Mann.

AfD-Netzwerk nach ganz rechtsaußen

Wohl um seine Chancen auf eine Anstellung zu begünstigen, trat Schuster auch selbst der AfD bei. Den Mitgliedsantrag stellte er zunächst in Sachsen, später wurde er im Kreisverband Magdeburg aufgenommen. Dorthin war er arbeitsbedingt verzogen und brachte sich vor Ort auch aktiv in die Parteiarbeit ein, er wurde Funktionär der AfD. So baute er beispielsweise die Friedrich-Friesen-Stiftung (FFS) mit auf, die erste AfD-nahe Stiftung auf Landesebene. Für die FFS hielt Schuster Vorträge, auch außerhalb ihres eigentlichen Wirkungsbereichs, etwa beim AfD-Kreisverband Leipzig. Zudem betätigte er sich im Landesfachausschuss für Soziales der sachsen-anhaltischen AfD. Er konnte dort aktiv Einfluss nehmen auf die programmatische Entwicklung der Partei.

Nach und nach wuchs Schusters verzweigtes Rechtsaußen-Netzwerk. Im Jahr 2016, er war gerade in Magdeburg angekommen, ließ er sich erneut ins Landesschiedsgericht des sächsischen Reservistenverbandes wählen. Zur gleichen Zeit war für den Verband als „Landesbeauftragter für den Sanitätsdienst“ ein Dresdner Arzt namens Hans-Joachim Klaudius aktiv, der zeitweise auch im Vorstand des AfD-Kreisverbandes Dresden saß. Klaudius vermietet auf seinem Privatgrundstück Büroräume an Philip Stein, den Anführer der neofaschistischen Initiative „Ein Prozent“. Ende 2016 meldete sich bei Schuster dann ein Burschenschafter namens Pierre Hillebrecht. Er fragte Schuster nach einem Job im Magdeburger Landtag – und berief sich auf einen gemeinsamen Bekannten, den „Verbandsbruder Stein“.

Als 2018 Steins „Ein Prozent“-Initiative in Halle/Saale zu einer Veranstaltung einlud, die im damaligen Hausprojekt der Identitären Bewegung stattfand, verbreiteten das neurechte „Institut für Staatspolitik“ und die Zeitschrift „Sezession“, die Schuster jahrelang abonniert hatte, dafür Werbung per E-Mail. Sie ging auch in der sachsen-anhaltischen AfD-Fraktion ein. Ein Kollege Schusters, das Germania-Mitglied Hannes Rother, leitete den Aufruf an etliche Germanen weiter, übrigens von seiner offiziellen Fraktions-Mailadresse aus. Bis heute bestreitet „Ein Prozent“, etwas mit den Identitären zu schaffen zu haben. Und seitens der AfD versucht man zu beiden Abstand zu wahren, denn sie werden durch Verfassungsschutzbehörden beobachtet.

„Einwandfreier Umgang“?

Für Schuster lief es lange gut bei der AfD, bis etwa Mitte vergangenen Jahres. Dann wurde er plötzlich von seinen Verpflichtungen freigestellt, weil er den Arbeitsfrieden gestört haben soll. Anfang August 2019 folgte die fristlose Kündigung wegen „gravierenden Pflichtverletzungen“. Schuster schaltete umgehend einen Rechtsbeistand ein, den Berliner Anwalt Alexander Bejach, der zugleich ein Alter Herr der Germanen ist. Bejach wandte sich für Schuster an das Arbeitsgericht Magdeburg und behauptete, dass sein Mandant stets einen „einwandfreien Umgang“ gepflegt habe. Dafür gebe es sogar Zeugen aus dem Kollegium. Namentlich benannt wurden Hannes Rother sowie Ben Niclas Berressem, der inzwischen für die sächsische AfD-Fraktion arbeitet. Bejach erreichte, dass Schuster ein ordentliches Arbeitszeugnis erhält.

Und er erreichte auch, dass der Ex-Arbeitsgeber den genauen Kündigungsgrund bekanntgab: „Die Störung lag insbesondere darin, dass sich der Kläger“, also Michael Volker Schuster, gegenüber weiblichen Mitarbeitern (…) in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen sexistisch bzw. sexuell beleidigend verhalten hatte“, heißt es in einem Schriftsatz. Zudem habe Schuster „in einer Vielzahl von Reisekostenabrechnungen betrogen“. Er soll vorgegeben haben, für Dienstreisen, die vor allem zum Bundestag führten, ein Auto zu nutzen. Dafür berechnete er ein Kilometergeld, das ihm die Fraktion erstattete. In Wirklichkeit hatte Schuster zeitweise gar keinen Führerschein, sondern fuhr mit dem Zug. Damit kam er günstiger, die Extra-Erstattung steckte er sich in die eigene Tasche. Aus Sicht der Fraktion war das eine Vermögensstraftat.

Schuster war dennoch guter Dinge, er rechnete sich passable Chancen aus, rasch zur sächsischen AfD-Fraktion zu wechseln. Noch im Juni 2019, vor seiner offiziellen Kündigung, wandte er sich an den Fraktionsgeschäftsführer Bernd Lommel. Daraufhin kam es zu einem „informellen Vorstellungstermin“ mit dem Fraktionsberater Michael Elicker, einem Verfassungsrechtler, der aus dem Saarland stammt. Aus dem erhofften fliegenden Wechsel nach Dresden wurde damals, kurz vor der Landtagswahl, offenbar nichts. Daher bewarb sich Schuster Anfang September, kurz nach der Wahl, erneut in Sachsen. „Nach meiner Überzeugung zählt die erfolgreiche Verbindung der sozialen Frage mit den Fragen nationaler Souveränität und deutscher Identität, vor dem Hintergrund wachsender Verteilungskämpfe, zu den Zukunftsfragen der AfD“, führte er in seinem Anschreiben aus.

Bewerbungen in Sachsen

Dann wurde es plötzlich still. Auch Versuche, einzelne AfD-Politiker wie den neu ins Parlament eingezogenen Leipziger Landtagsabgeordneten Jörg Kühne zu kontaktieren, führten über Monate nicht zu einer Anstellung. Schließlich erhielt Schuster im April dieses Jahres so etwas wie eine Entschuldigung: „Es tut mir leid“, schrieb der Landtagsabgeordnete André Wendt, dass es „mit einer Anstellung in der Fraktion nicht geklappt hat“, er drücke ihm aber weiter die Daumen. Wendt war zu der Zeit nicht mehr nur einfacher Abgeordneter, sondern bereits zum Zweiten Vizepräsident des Landtages gewählt. Der Berufssoldat Wendt und der Reserveoffizier Schuster duzen sich.

Ein Grund, in Sachsen nicht gelandet zu sein, könnte die Neigung etlicher hiesiger AfD-Abgeordneter sein, aus ihrem Budget für Mitarbeiter*innen viele prekäre 450-Euro-Jobs zu generieren. Anfang des Jahres stand eine Erhöhung der Personalpauschale zur Debatte, doch die AfD selbst machte Front gegen die Pläne, seit der Pandemie liegen sie eh auf Eis. Möglich ist allerdings auch, dass sich die Gründe für Schusters Kündigung in Sachsen-Anhalt herumgesprochen haben. Er blitzte nämlich auch in der brandenburgischen AfD-Fraktion sowie im Bundestag ab.

So bewarb er sich bei dem Bundestagsabgeordneten Detlef Spangenberg, der aus Sachsen stammt, und holte dafür die Fürsprache der beiden Abgeordneten Christian Wirth und Jörg Schneider ein, denen er zuvor bei Fraktionsveranstaltungen begegnet war. Danach versuchte Schuster sein Glück bei Enrico Komning, selbst ein Burschenschafter, wieder erfolglos. Ebenfalls nicht zielführend war es, sich bei dem Abgeordneten Roland Hartwig zu bewerben. Den Kontakt bekam Schuster von seinem früheren Kollegen Hannes Rother vermittelt, der inzwischen eine Stelle bei Sebastian Münzenmaier erhalten hatte. Bei dieser Bewerbung sprang für Schuster nur ein Online-Interview mit dem Mitarbeiter Günther Lachmann heraus, einem früheren WELT-Reporter.

Kündigung im Bundestag

Dann endlich schien es doch zu gelingen, Schuster erhielt im Mai einen Arbeitsvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Bundestagsabgeordneten René Springer. Arbeitsbeginn war der 1. Juni. Viel zu tun hatte Schuster nicht, denn schon nach anderthalb Wochen kam die Kündigung – kurz nach den Enthüllungen über die Gewalt-Chats der Germanen. Der Vertrag läuft zum 31. Juli aus.

Die Recherchen hatten weitere Folgen: Bei der Friedrich-Friesen-Stiftung will man Schuster nicht mehr haben und strich seine Mitgliedschaft, offiziell, weil er im vergangenen Jahr in Verzug bei der Überweisung des Jahresbeitrags war. Für seinen AfD-Mitgliedsbeitrag ließ sich Schuster noch eine Zuwendungsbescheinigung des Bundesschatzmeisters Carsten Hütter ausstellen, bevor er kürzlich von selbst aus der Partei austrat. Die AfD im Bundestag und in Sachsen haben bis heute keine Stellung genommen zu ihren Kontakten zu Schuster und weiteren Germanen.