„Wir stehen zu Deutschland, in Ewigkeit, amen!“

Am Freitag hat der Neonazi Andreas Kalbitz bei einer AfD-Kundgebung in Burgstädt gesprochen, auf einer Bühne mit dem sächsischen Abgeordneten und Polizeibeamten Lars Kuppi. Es sollte um „Corona und das Grundgesetz“ gehen, doch Kalbitz lief zu alter Form auf und schmetterte rassistische Sprüche. Vor Ort gab es lauten Widerspruch – und um seine Mitgliedschaft in der Rechtspartei muss der Flügel-Mann weiter bangen.

Rund 150 Menschen haben sich am Freitagabend in Burgstädt (Landkreis Mittelsachsen) an einer Kundgebung der örtlichen AfD-Stadtratsfraktion unter dem Motto „Corona und das Grundgesetz“ beteiligt. Bekanntester Gast war der Neonazi Andreas Kalbitz, der damit zum zweiten Mal in kurzer Zeit der Flügel-treuen sächsischen AfD die Aufwartung machte. Aktuell darf sich Kalbitz wieder als Parteimitglied betrachten und ließ sich dafür im kleinen Burgstädt feiern. Doch im großen Streit um ihn und um die Ausrichtung der AfD ist immer noch alles offen.

Kuppi fürchtet Plünderungen in Dörfern

Auf dem nur spärlich gefüllten Burgstädter Marktplatz begrüßte das Stadtratsmitglied Matthias Hofmann die Anwesenden zunächst mit einer kurzen Ansprache. Man wende sich „gegen den Entzug unserer Grundrechte“ im Zuge der Corona-Pandemie, sagte er zum Thema des Abends und zählte eine Reihe „völlig überzogener“ Beschränkungen auf, die inzwischen fast alle schon wieder aufgehoben wurden. Besonders am Mund-Nase-Schutz stört sich die AfD und spricht von einem „Maulkorb“. Der AfD-Landtagsabgeordnete Lars Kuppi, der die Versammlung angemeldet hatte, ging darauf bereits ein, als er die Auflagen verlas und darum bat, keine Masken zu tragen: „Lasst sie bitte weg!“

Die Aufforderung war gar nicht nötig, niemand war mit Maske gekommen. In seiner späteren Rede ging es Kuppi dann schon um völlig andere Themen. Zunächst kritisierte er die Vorab-Berichterstattung über die Kundgebung, weil man sein Alter falsch angegeben habe. Dann teilte der Polizeibeamte, der ein langjähriger Funktionär der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist, gegen die konkurrierende Gewerkschaft der Polizei (GdP) aus. Die GdP hatte im Vorfeld kritisert, dass sich in Burgstädt der Polizist Kuppi und der amtlich anerkannte Rechtsextremist Kalbitz die Bühne teilen werden.

Das wies der Beamte nicht einmal zurück. Es sei jedoch „wichtig zu wissen“, sagte Kuppi, dass die GdP zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehöre. Dessen Dachverband – das war für alle neu – heiße ver.di und agiere „unter dem Deckmantel der SPD“. Ausführlich zitierte er schließlich eine Stellungnahme des DPolG-Vorsitzenden Rainer Wendt samt der Behauptung, dass hinter den Krawallen in Stuttgart in Wirklichkeit „die Antifa“ stehe. Das verheiße nichts Gutes, setzte der Abgeordnete hinzu. Plünderungen würden bald auch „in kleineren Städten und Dörfern“ drohen.

Maier berschwört die „historische Mission“

Der nächste Redner, der Bundestagsabgeordnete Jens Maier, sah diese Gefahr jedenfalls für Burgstädt nicht. Hier sei es nämlich „noch so richtig deutsch“, anders als in Stuttgart, wo man Probleme habe, „einen echten Schwaben zu treffen. Dafür ist dort der Rest der Welt umso zahlreicher vertreten.“ Vor Ort würde die „Migrantifa“ wüten, nach Maiers Kenntnissen sei das ein Bündnis aus „Linksextremisten, Islamisten und kriminellen Ausländern, die Hand in Hand plündernd durch unsere Städte laufen.“ Dagegen stehe die AfD mit ihrer „historischen Mission“, solche Zustände in Ostdeutschland zu verhindern. „Moscheebau, nein danke!“, rief er unter Johlen, ganz so, als habe das etwas mit Stuttgart zu tun oder sei ein heißes Thema in Burgstädt.

Dann wurde Maier grundsätzlicher, als er auf die Rassismus-Debatte der vergangenen Wochen zu sprechen kam: Antirassismus sei in Wirklichkeit „Rassismus gegen Weiße“. Man sehe das in Südafrika, wo seit dem Ende der Apartheid „tausende weiße Farmer“ überfallen und „grausam abgeschlachtet“ worden seien. Hier vermutet er offenbar eine Parallele zu Deutschland, wo man „kein Problem mit angeblichem Rassismus“ habe, sondern „ein Problem mit der Behandlung von Deutschen“, die inzwischen „Bürger zweiter Klasse im eigenen Land“ geworden seien. Das Publikum war leicht mitzureißen, es erklangen Sprechchöre („Abschieben, abschieben!“), die an Pegida erinnern. Maier steht dort auch desöfteren auf der Bühne.

„Willkommen zurück!“, sagte er schließlich in Richtung des pünktlich vorgefahrenen Andreas Kalbitz, und führte aus, was die Entscheidung bedeutet, die ein Gericht kürzlich zur dessen Parteimitgliedschaft getroffen hat. Kalbitz gehöre jetzt wieder „voll dazu“, und wenn der Bundesvorsitzende das missachte, „kann sich dann Herr Meuthen schon mal seine Zahnbürste einpacken.“ Maier spielte darauf an, dass das Gericht mit Ordnungshaft droht, sollten Kalbitz seine Rechte als Parteimitglied verwehrt werden. Mit seinen letzten Worten erbat sich Maier dann vorsichtshalber noch zusätzlichen Beistand von ganz oben: „Wir stehen zu unserer Heimat, wir stehen zu Deutschland, in Ewigkeit, amen!“

Kalbitz beschimpft VS-Präsident Haldenwang

Danach, als letzter Redner, trat Kalbitz selbst ans Mikrofon. Zu den aktuellen Vorgängen in seiner Partei, die sich vor allem um ihn drehen, wolle er nichts sagen, um es dann aber doch zu tun und etliche Spitzen in Richtung des Bundesvorstands abzufeuern: Er habe „die Nase voll, mir von einzelnen Protagonisten aus dem Westen“ erklären zu lassen, „wie wir im Osten hier unseren Job zu machen haben.“ Kalbitz lobte auch das DDR-Schulsystem („die Älteren erinnern sich“). Den hat der gebürtige Müchner zwar nie erlebt, es bringe seiner Meinung nach aber bestimmt mehr als „drei afrikanische Trommelkurse zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz“.

Auch Kalbitz ging auführlich auf die Ausschreitungen in Stuttgart ein. Einige aus diesem Anlass aufgezählte Äußerungen über Ausländer kleidete er, worauf er feixend hinwies, in Zitate von Jörg Meuthen, der dafür „hoffentlich keine Probleme mit dem Verfassungsschutz“ bekomme. Angeblich anwesende und mitschreibende „Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz“ grüßte Kalbitz wiederholt und nannte den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang einen „Erfüllungspimpf“.

Der Hauptteil seiner Rede war ein zwanzigminütiges Parolen-Stakkato, das zu einigen Teilen sogar Wort für Wort mit dem übereinstimmte, was er neulich bereits bei einer AfD-Kundgebung in Sebnitz zu berichten hatte über Gegendemonstrant*innen („typische Krawalltouristen“), Linke („rotlackierte Linksfaschisten“), Grüne („Ökofaschisten“), Medien („fast gleichgeschaltete Presse“) und die sexuelle Emanzipation, die er für unnützes „Gender-Gaga“ hält, denn: „Das Geschlecht meiner drei Kinder hab ich nach der Geburt durch einen Blick erkannt.“

„Kalbitz, Kalbitz“-Rufe

Mit dem Thema der Kundgebung hatte all das wenig zu tun, und es überrascht nicht, dass die AfD lieber zu ihren Erfolgsthemen zurückkehren möchte, zum Kampf gegen „Multikulti-Experimente“. Freilich sei man überhaupt nicht ausländerfeindlich, „das ist hahnebüchener Unsinn“, versicherte Kalbitz, um dann ein astreines Beispiel für Rassismus abzugeben: Er wolle einfach nicht länger die Straßenseite wechseln müssen im Angesicht von „syrisch-afghanischen Deserteuren“ und einem „Kopftuchgeschwader mit Mehrfachkinderwagen“, die er an allen Bahnhöfen erblicken müsse. Tatsächlich fährt Kalbitz nicht einmal Bahn, sondern nimmt einen Fahrdienst in Anspruch, der ihn auch nach Burgstädt chauffierte.

Das tat den „Kalbitz, Kalbitz“-Rufen keinen Abbruch, die angestimmt wurden, als er die Bühne verließ und die Kundgebung nach einer Stunde zuende war. Zu ihr hatten sich unter anderem auch das Bundestagsmitglied Heiko Heßenkemper sowie die Landtagsabgeordneten Norbert Mayer, Jörg Dornau und Hans-Jürgen Zickler gesellt. Hinzu kamen beispielsweise das Bad Lausicker Stadtratsmitglied Horst Juhlemann, gegen den ermittelt wird, weil er Anfang des Jahres bei Pegida den Hitlergruß gezeigt haben soll, sowie der extrem rechte Aktivist Arthur Österle, diesmal in seiner Paraderolle als Ordner. Etwas abseits der Versammlungsfläche war Ulrich Oehme auszumachen, der im Bundestag sitzt. Womöglich wollte er es angesichts seiner Kandidatur zur OBM-Wahl in Chemnitz vermeiden, gemeinsam mit Kalbitz ins Bild zu geraten.

Oehme verbreitete hinterher aber, dass „Randalierer“ nach Burgstädt gekommen seien. Tatsächlich gab es in der Stadt einen breiten Gegenprotest mit einem Friedensgebet, einer Menschenkette durch die Altstadt und einem Demonstrationszug. Der Protest war völlig friedlich, nach Angaben der Polizei beteiligten sich daran insgesamt rund 340 Menschen – mehr als doppelt so viele, als die AfD auf die Beine gebracht hat.

Kalbitz weiter im Zentrum des AfD-Streits

Sein kurzer Besuch in Burgstädt mag für Kalbitz dennoch eine entspannende Abwechslung gewesen sein angesichts der innerparteilichen Krise und dem Gezerre um seine Parteimitgliedschaft. Die hatte der Bundesvorstand im Mai annulliert, weil er es beim Eintritt in die AfD satzungswidrig versäumt haben soll, seine frühere Mitwirkung bei den „Republikanern“ und in der Neonazigruppe „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) anzugeben. Am Freitag vergangener Woche erzielte Kalbitz jedoch einen Zwischenerfolg, als eine Zivilkammer des Landgerichts Berlin entschied, dass er vorläufig wieder „vollwertiges Parteimitglied“ sein darf, zumindest so lange, bis das AfD-Bundesschiedsgericht eine Entscheidung im sogenannten Hauptsacheverfahren trifft.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Flügel-Block in der AfD sieht sich aber bestätigt und schuf sofort Tatsachen, die brandenburgische Landtagsfraktion wählte Kalbitz wieder zum Fraktionsvorsitzenden. Zudem wurde er wieder als Landesvorsitzender eingesetzt, einen Posten, den man ihm in der Zwischenzeit, in der er fünf Wochen lang kein Mitglied war, freigehalten hat. Er kann sein Amt ausüben wie vorher, mit dem allerdings erheblichen Unterschied, dass sein Landesverband jetzt unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht.

Kalbitz darf zudem wieder an Sitzungen des Bundesvorstands teilnehmen, dem er angehört. Obskure Folge: Bei einer Telefonkonferenz am vergangenen Montag erfuhr er so unmittelbar, wie der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen mit seiner knappen Vorstandsmehrheit weiter gegen ihn vorgehen will. Man setzt auf eine möglichst klare Entscheidung des Bundesschiedsgerichts, an das sich Kalbitz ohnehin gewandt hatte und auf das auch das Berliner Urteil verweist.

Mitglied oder nicht?

Allerdings machte das Schiedsgericht die Verwirrung inzwischen komplett und traf am Dienstag in einem Eilverfahren bereits eine vorläufige Entscheidung. Entgegen der verbreiteten Erwartung soll Kalbitz demnach die Partei verlassen, bis die Hauptverhandlung stattfindet, die für den 25. Juli angesetzt ist. Dem Vernehmen nach stimmten sieben der neun Parteirichter gegen Kalbitz, es gab eine Enthaltung. Nur ein einziges Mitglied stellte sich demnach hinter den Neonazi: Martin Braukmann, der zur sächsischen AfD gehört.

Rücksicht auf den anderslautenden Beschluss des Zivilgerichts, das sich auf das Parteiengesetz stützt, nahm das Schiedsgericht nicht; es orientiert sich in erster Linie an der Satzung der Partei. Aber genau wie das Zivilgericht hat auch das Schiedsgericht die Hintergründe des Streits noch nicht näher betrachtet. Vielmehr wurde eine Abwägung vorgenommen, ob Kalbitz oder die Partei den größeren Schaden hätten, wenn der Neonazi bleiben kann oder gehen muss. Ausschlaggebend war offenbar die Befürchtung, dass Entscheidungen des Bundesvorstands, an denen Kalbitz mitwirkt, im Nachhinein angefochten werden könnten, falls seine Rückkehr doch nicht von Dauer sein sollte.

Genau das nehmen fast alle Mitglieder des Schiedsgerichts auch an: „Es sprechen gewichtige Umstände dafür, dass die Annullierung der Mitgliedschaft wirksam erfolgt sein dürfte“, heißt es in der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung. Nach Angaben der Welt am Sonntag hält man vor allem die Position Meuthens für überzeugend, wonach Kalbitz gehen müsse, da er sonst sofort „seinen innerparteilichen
Einfluss zugunsten seiner vom Verfassungsschutz ermittelten rechtsextremen Zielsetzung zum Schaden der rechtsstaatlich verfassten AfD nutzen“ würde.

Kalbitz nennt Parteigericht „uninteressant“

Sollte das Schiedsgericht bei dieser Auffassung bleiben, will Kalbitz erneut vor ein staatliches Gericht ziehen. Zuletzt hat er eine Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingereicht. Er fordert Einsicht in Unterlagen der Behörde, die behauptet, über eine Mitgliederliste der HDJ zu verfügen. Kalbitz bestreitet die HDJ-Mitgliedschaft vehement. Er spricht allerdings auch bereits seit Monaten davon, das BfV zu verklagen. Erst jetzt ist er dazu wirklich bereit.

Wie zugespitzt die Lage in der AfD inzwischen ist, zeigte sich dann am Freitag – nicht in Burgstädt, sondern im thüringischen Suhl. Dort traf sich der AfD-Bundesvorstand zu einer Präsenzsitzung und einer anschließenden Klausurtagung mit den Landeschefs. Zunächst war unklar, ob man Kalbitz einlassen würde, denn die Meinungen, ob er Mitglied ist, gehen weit auseinander. Meuthen pochte im Vorfeld auf die Entscheidung des Schiedsgerichts: „Wenn Andreas Kalbitz das Parteischiedsgericht respektiert“, könne er „unmöglich an der Sitzung des Bundesvorstands teilnehmen“, sagte er auf ARD-Anfrage.

Kalbitz nennt diese Entscheidung dagegen „uninteressant“, berief sich auf die gegenteilige Haltung des staatlichen Gerichts – und kam damit durch. Was vor allem sticht, ist die Strafandrohung des Landgerichts Berlin, von der Maier in Burgstädt berichtet hat, als er auf Meuthens Zahnbürste zu sprechen kam: Ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro „oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollstrecken an den Bundessprechern“ droht nämlich, wenn Kalbitz seine Rechte als Mitglied und Funktionär der AfD verwehrt werden sollten.

Schlichtung ausgeschlossen

Eine Schlichtung des parteiinternen Streit, in dem solche Drohungen im Raum stehen und der sich auf immer mehr Arenen erstreckt, ist inzwischen kaum noch vorstellbar. Einig ist man sich nur darin, dass all das der Partei schadet. Damit gehe „die Saat der Spalter innerhalb und außerhalb der Partei“ voll auf, heißt es seitens des Flügels. Dort will man erreichen, dass Meuthen die Waffen streckt und nicht länger daran festhält, Kalbitz loszuwerden. Ihm käme das auch deshalb zupass, weil dann die unangenehme Frage, ob er HDJ-Mitglied war, nicht mehr gerichtlich geklärt werden müsste.

Aber selbst das würde den Streit in der Partei wohl nicht mehr befrieden, zu zahlreich und tief sind die Verletzungen, die man sich gegenseitig zufügt. Aus Flügel-Kreisen wurde kürzlich eine eidesstattliche Erklärung von Meuthens früherem Wahlkampfleiter Ralf Özkara lanciert, der den Parteivorsitzenden in seiner Spendenaffäre schwer belastet. Meuthen hat daraufhin im anhängigen Rechtsstreit klein beigegeben. Auf die Partei kommt jetzt eine Geldstrafe in sechsstelliger Höhe zu. Das wird man Meuthen immer wieder vorhalten.

Aber auch die sogenannten Gemäßigten teilen munter aus. Neuerdings steht die Frage im Raum, warum Tino Chrupalla – der gleichberechtige Co-Vorsitzende neben Meuthen, der aus Sachsen stammt und dem Kalbitz-Ausschluss nicht zugestimmt hat – einen Dienstwagen der Oberklasse bekommen hat. Neupreis der Limousine Chrupallas, der sich stets als einfacher Handwerker und Gewährsmann des sprichwörtlichen kleinen Mannes präsentiert: mehr als 90.000 Euro.