Presseschau, 24. Kalenderwoche 2020

Neuwahl in Ottendorf-Okrilla, Scheitern im Leipziger Stadtrat, Hütter gegen Arbeitskämpfe, Hein im Abschiebe-Beirat, einsamer Corona-Protest in Pirna, Russland bezahlt Oehme, Postengerangel in Niedersachsen, Niederlage für Seehofer, Klage von Kalbitz, Provokation in Sachsen-Anhalt, neuer Stunk in der Stiftung, Zusammenarbeit in Trebbin, Abgrenzung bei der FDP, Verleumdungskampagnen. Das war diese Woche wichtig:


In der Presseschau informiert idas jeden Sonntag über lesenswerte Medienberichte und Recherchen rund um die AfD, die im Laufe der Woche erschienen sind.


AfD in Sachsen

Der erste Wahlgang für die Bürgermeister*innenwahl in Ottendorf-Okrilla (Landkreis Bautzen) muss wiederholt werden. Grund: Der zweite Wahlgang, der am 29. März stattfinden sollte, konnte pandemiebedingt nicht stattfinden und auch nicht mehr fristgerecht nachgeholt werden. Daher wird nun auch das Anfang März erzielte Ergebnis des ersten Durchgangs annulliert. Damals hatte für die AfD Carsten Rybicki 9,5 Prozent der Stimmen erhalten. Noch unklar ist, ob Rybicki, der nicht aus dem Ort kommt und dort auch nicht lebt, erneut antreten will. Der gesamte Wahlvorgang soll am 4. Oktober von Neuem beginnen, ein eventuell erforderlicher zweiter Wahlgang wird am 25. Oktober folgen. (↪ Sächsische, 09.06.)


Die AfD ist im Stadtrat von Leipzig damit gescheitert, einen gemeinsamen Aufruf gegen „die weitere Ausbreitung des gewaltbereiten Linksextremismus“ zu beschließen. Die anderen Fraktionen kritisierten in der Ratsdebatte das pauschalisierende Vorgehen der AfD, die in dem Zusammenhang auch von „Linksterrorismus“ sprach, und einigten sich auf einen Appell „für ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben – gegen Hass, Gewalt und Hetze“. Zugleich wurde der Oberbürgermeister beauftragt, künftig ein jährliches Lagebild zu Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und entsprechenden Vorfällen vorzulegen. (↪ L-IZ, 10.06., ↪ LVZ, 12.06.)


Der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter hat sich gegen Arbeitskämpfe beim Riesaer Ölwerk und im Frosta-Werk in Lommatzsch ausgesprochen. Beide Betriebe im Landkreis Meißen wurden am Dienstag bestreikt, die Beschäftigten fordern mit Unterstützung der Gewerkschaften eine Angleichung der Löhne in der Lebensmittelindustrie an das West-Niveau. Hütter sagte dazu, mit einer „völligen Angleichung“ wäre „das Maß überzogen“, die vergleichsweise niedrigen Löhne bezeichnet er als „Standortvorteil“. Der gut bezahlte Abgeordnete ist ein aus Westdeutschland stammender Unternehmer. (↪ Sächsische, 11.06.)


Der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete René Hein wird künftig dem Beirat der Ausreisegewahrsams- und Abschiebungshafteinrichtung in Dresden angehören. An den Beirat können sich Betroffene wenden, er fungiert als Mittler zur Leitung der 2018 eröffneten Einrichtung. Ein Platz in dem Gremium steht der Landtagsopposition zu, er fällt dadurch automatisch an die AfD als größte Oppositionsfraktion. Die Benennung und Besetzung erfolgte im Landtagspräsidium, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auf die Personalie machte zuerst die Dresdner Kontaktgruppe für Menschen in Abschiebehaft aufmerksam. Sie kritisiert die Besetzung des Beirats mit einem Mitglied der AfD grundsätzlich. (↪ addn.me, 11.06.)


Die große Corona-Protestwelle, auf der die AfD mitgeschwommen ist, verebbt. Anders als zuvor gab es in dieser Woche nur noch wenige Versammlungen, die auf immer weniger Anklang stoßen. Am Mittwoch lud die örtliche AfD zu einer Kundgebung mit anschließendem „Spaziergang“ in Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) ein, angemeldet durch das Stadtratsmitglied Tim Lochner. Rund 80 Menschen – die Partei zählte 150 – schlossen sich an und forderten das Ende der bereits weitgehend zurückgenommenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. (↪ Sächsische, 11.06.)


Der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme ist auf Kosten des Kremls auf die durch Russland annektierte Halbinsel Krim gereist. Neue Medienrecherchen zeigen, dass Oehme im Jahr 2018 durch den Auswärtigen Ausschuss der Duma bezahlt wurde, um sich als „Wahlbeobachter“ zu betätigen. Der Politiker lobte daraufhin die auch auf der Krim durchgeführte russische Präsidentschaftswahl, die international überwiegend nicht anerkannt wird, Deutschland erachtet sie gar als völkerrechtswidrig. Oehme hat die Reise gegenüber der Bundestagsverwaltung deklariert, beantwortet aber keine Medienanfragen über den Ablauf und den Inhalt seiner vorgeblichen Wahlbeobachtung – er war kein Mitglied der offiziellen Wahlbeobachtermission der OSZE, die zu dieser Zeit tätig war. Hinzu kommt: Bei Oehmes Einreise auf die besetzte Krim handelte es sich nach ukrainischem Recht um eine Straftat. Vor Ort war er zumindest zeitweise in Begleitung des extrem rechten Publizisten Manuel Ochsenreiter, der damals Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier war. Gegen Ochsenreiter ermittelt die Generelstaatsanwaltschaft Berlin wegen des Verdachts, im Februar 2018 im ukrainischen Uschgorod einen Anschlag auf eine ungarische Kultureinrichtung angestiftet zu haben, unmittelbar vor Oehmes Besuch. Oehme hat in der Vergangenheit immer wieder pro-russische Positionen bezogen. Aktuell bewirbt er sich als Kandidat zur OBM-Wahl in Chemnitz. (↪ Tagesschau, 12.06., ↪ Spiegel, 12.06.)

AfD rundherum

Die niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Dana Guth muss um ihren Posten fürchten. Seit zwei Jahren führt die Landtagsabgeordnete den Verband an, turnusmäßige Neuwahlen werden fällig, so bald es möglich sein wird, einen Parteitag abzuhalten. Zwar gibt es noch keinen Termin, aber bereits Konkurrenz: Sowohl der Bundestagsabgeordnete Dietmar Friedhoff, als auch dessen Fraktionskollege Jens Kestner wollen Guth verdrängen, die als vergleichsweise gemäßigt gilt. Kenstner ist dagegen ein Flügel-Mann, der weniger profilierte Friedhoff ein Zentrist. Ihre Chancen gegen die Amtsinhaberin stehen nicht schlecht, denn ihr fehlt eine solide Machtbasis im Landesverband. Zudem steht die niedersächsische AfD mit zuletzt nur noch rund fünf Prozent bei Umfragen schlecht da. (↪ BNR, 09.06.)


Bundesinnenminister Horst Seehofer hat seine Neutralitätspflicht verletzt, als er auf der Website seines Ministeriums zeitweise ein Interview veröffentlichte, in dem er die AfD als „staatszersetzend“ bezeichnet. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit einer Klage der AfD stattgegeben. Dem Gericht zufolge lag mit der Veröffentlichung ein Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien vor. Kein Problem besteht demnach darin, dass Seehofer in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur im September 2018 die AfD harsch kritisiert hat. Er sprach dabei vordergründig in seiner damaligen Rolle als CSU-Vorsitzender. Da er als Regierungsmitglied zugleich zur Neutralität gegenüber allen Parteien verpflichtet ist, durfte er den Wortlaut des Interviews jedoch nicht auf einer offiziellen staatlichen Website wiedergeben. Weitere Konsequenzen hat das Urteil nicht, das Interview war bereits nach rund zwei Wochen wieder von der Seite des Ministeriums entfernt worden. (↪ Tagesschau, 09.06., ↪ Tagesspiegel, 09.06., ↪ Spiegel, 09.06.)


Der Neonazi Andreas Kalbitz geht mit einem Eilantrag beim Landgericht Berlin gegen die Annullierung seiner AfD-Mitgliedschaft vor. Mit dem nunmehr eingereichten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz will Kalbitz erreichen, die Mitgliedschaft schnellstmöglich zurückzuerlangen – und damit auch seinen Sitz im Parteivorstand und seinen Posten als brandenburgischer Landesvorsitzender. Die Mitgliedschaft hat ihm der Bundesvorstand vor einigen Wochen abgesprochen, weil er frühere Zugehörigkeiten zu den Republikanern und zur Neonazi-Organisation „Heimattreue deutsche Jugend“ nicht angegeben haben soll, als er der Partei beitrat. Kalbitz bestreitet, HDJ-Mitglied gewesen zu sein, zudem hält er die gegen ihn angewandte Satzungsregelung für rechtswidrig. Vor kurzem hatte er sich bereits an das Bundesschiedsgericht der Partei gewandt, das ebenfalls eine rasche Entscheidung im Eilverfahren treffen soll. (↪ RND, 10.06., ↪ RBB, 10.06., ↪ Tagesspiegel, 11.06.)


Die AfD hat am Donnerstag im Landtag von Sachsen-Anhalt mit einer gezielten Provokation für eine Unterbrechung der Parlamentssitzung gesorgt. Zum Beginn der Tagung hielten AfD-Abgeordnete Schilder mit Aufschriften wie „Zähle ich auch?“ und „Zähle ich nicht?“ hoch, offenbar gedacht als eine Reaktion auf die „Black Lives Matter“-Proteste. Solche Meinungskundgaben in Landtagssitzungen sind jedoch per Hausordnung untersagt. Nachdem die AfD-Abgeordneten der Aufforderung des Landtagspräsidiums nicht folgten, die Aktion zu beenden, wurde die Sitzung pausiert. (↪ MZ, 11.06.)


Auch nach der Abberufung des neurechten Publizisten Erik Lehnert aus dem Vorstand der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) schwelt der Konflikt in der AfD-nahen Organisation weiter. Infolge der umstrittenen Personalentscheidung hat nun das Vorstandsmitglied Jan Moldenhauer die DES-Vorsitzende Erika Steinbach scharf kritisiert und nennt ihr Vorgehen eine „Bankrotterklärung“, durch die man sich „den Spielregeln des politischen Gegners“ unterwerfe. Moldenhauer, ein leitender Mitarbeiter der sachsen-anhaltischen AfD-Fraktion, vertritt in der Stiftungsspitze den völkisch-nationalistischen Parteiflügel, dem auch Lehnert nahesteht. Dieser hat seinen Posten verloren, weil Steinbach und weitere Vorstandsmitglieder den Verlust der Gemeinnützigkeit des Stiftungsvereins fürchten und damit künftige Zugänge zu staatlicher Förderung gefährdet sehen. Grund: Lehnert ist ein bekannter Exponent des neurechten „Institut für Staatspolitik“, das seit kurzem durch Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird. (↪ BNR, 11.06.)


Nach der Veröffentlichung umfangreicher Recherchen über ein bewaffnetes Prepper-Netzwerk aus Burschenschaftern, Reservisten und AfD-Mitarbeitern in Sachsen und Sachsen-Anhalt ist die sachsen-anhaltische AfD-Landtagsfraktion in die Kritik geraten. In einer Landtagsdebatte wurde sie vor dem Hintergrund der Berichte als der „parlamentarische Arm des Rechtsextremismus“ bezeichnet. Die Linken-Abgeordnete Henriette Quade sagte darüber hinaus, die AfD sei „nicht nur der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus, sondern, das zeigen die Veröffentlichungen, auch der des Rechtsterrorismus“. Die AfD wies die Vorwürfe zurück. Die Berichte bezeichnete der parlamentarische Geschäftsführer Robert Farle als „Fantasie“ und „alte Zeitungsklamotten“. Der Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner betonte, dass ein involvierter Fraktionsmitarbeiter inzwischen nicht mehr angestellt sei. Von dessen Gesinnung habe man nichts gewusst. (↪ Volksstimme, 12.06.)

Blauzone

Mit einem gemeinsamen Antrag in der Stadtverordnetenversammlung im brandenburgischen Trebbin verhindern die Fraktionen von CDU, SPD, der Wählervereinigung „Frischer Wind/UFW“ und der AfD, dass ein im Bau befindliches Feuerwehrgebäude nach Orazio Giamblanco benannt wird. Giamblanco war am 30. September 1996 in der Kleinstadt südlich von Berlin durch Neonazis beinahe erschlagen worden, er ist seitdem pflegebedürftig und lebt heute in Bielefeld. Auch auf dessen Wunsch hin wollte die Fraktion „Neue Liste/Die Partei“ eine offizielle Ehrung erreichen. Dieses Ziel ist nun aber unter Mitwirkung der AfD vorerst vom Tisch. Der Mehrheits-Antrag geht zwar auch darauf aus, über ein „Zeichen der Mahnung und Erinnerung“ zu beraten, lässt Ausgestaltung und Zeitpunkt aber offen. Bisher gibt es in dem Ort keine offizielle Form des Erinnerns an die Tat, bei der Neonazis italienische Bauarbeiter vertreiben wollten. Zum Umfeld des später wegen versuchten Mordes verurteilten Haupttäters gehört der heutige Trebbiner Feuerwehrchef Silvio Kahle, der zugleich der Fraktion „Frischer Wind/UFW“ angehört. (↪ Tagesspiegel, 13.06., ↪ LR, 13.06.)

Stimme & Haltung

Eine interne Arbeitsgruppe der FDP-Bundestagsfraktion zum künftigen Umgang mit der AfD hat erste Ergebnisse vorgelegt. Demnach will die Fraktion künftig unter anderem darauf achten, bei der Besetzung von Spitzenposten im Parlament, etwa der Bundestagsvizepräsident*in, Personalvorschläge der AfD geschlossen abzulehnen. Es soll aus den FDP-Reihen heraus auch keine Zustimmung mehr für Ausschussvorsitzende geben, die durch die AfD vorgeschlagen werden. Die Bildung der FDP-Arbeitsgruppe war eine Reaktion auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten im Februar. Er war mit Hilfe der AfD ins Amt gekommen und bereits nach wenigen Tagen wieder zurückgetreten. (↪ Tagesspiegel, 11.06.)

Hintergrund

Mit konstruierten Vorwürfen betreibt die AfD derzeit Verleumdungskampagnen gegen den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder und den Berliner LINKE-Politiker Hakan Taş. Söder wird dabei als korrupt dargestellt, gestützt auf durch die AfD offenbar gezielt aufgegriffene und unbelegte Beiträge in Telegram-Chats, wonach er und seine Familie sich an der Corona-Pandemie bereichern würden. Gegen Taş hat die Berliner AfD sogar ein Video produziert und verbreitet. Darin wird Bezug genommen auf eine Unfallfahrt unter Alkoholeinfluss vor zwei Jahren, die für den Politiker angeblich straffrei ausgegangen sei, was jedoch nicht stimmt. Darüber hinaus ist die Rede von einer „Verfolgungsjagd“ mit der Polizei, die es gar nicht gab. Söder und Taş wollen juristisch gegen die Falschdarstellungen vorgehen. (↪ BR, 11.06., ↪ TAZ, 12.06.)