Bernig gibt auf

Der Schriftsteller Jörg Bernig verzichtet überraschend auf seine Bewerbung als Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul (Landkreis Meißen). Er zog sich wenige Tage vor einer erneuten Abstimmung im Stadtrat zurück. Dort hatte er zuletzt eine knappe Mehrheit von CDU und AfD gefunden – trotz oder wegen seiner rechtsradikalen Positionen. Kritik daran nennt er „totalitär“.

Bernig dankt auch der AfD

Der rechtsradikale Schriftsteller Jörg Bernig hat seine Kandidatur als Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul überraschend zurückgezogen. „Für einen abermaligen Wahlvorgang stehe ich nicht zur Verfügung“, teilte er gestern dem Oberbürgermeister Bert Wendsche in einem Brief mit. Am kommenden Montag sollte bei einer Sondersitzung des Stadtrats abschließend entschieden werden, wer künftig das kommunale Amt für Kultur und Tourismus hauptberuflich leiten wird.

In einer ersten Abstimmung am 20. Mai, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, hatte sich Bernig überraschend gegen eine Mitbewerberin durchgesetzt, die durch die Verwaltung favorisiert worden ist. Auf den 56-Jährigen entfiel dabei eine knappe Mehrheit. Nunmehr dankt er jenen Stadtratsmitgliedern, „die mich gewählt haben.“ Die Stimmen kamen von CDU und AfD sowie mutmaßlich auch von den „Freien Wählern“.

Der parteilose Oberbürgermeister Wendsche, der selbst der CDU-Ratsfraktion angehört, hatte nach der geheimen Wahl zunächst sein Einvernehmen mit dem Ergebnis erklärt, Bernig hätte das Amt demnach voraussichtlich ab August antreten können. Einige Tage später machte der Stadtchef dann jedoch von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch, das ihm die Gemeindeordnung einräumt, wenn sich eine Entscheidung zum Nachteil der Stadt auswirken könnte.

Debatte ohne (Selbst-)Kritik

Zwischenzeitlich war breite Kritik an der Wahl Bernigs und an Teilen seines publizistischen Werks aufgekommen. Um sein literarisches Schaffen geht es dabei nicht. Doch der Schriftsteller, der selbst in der Stadt lebt, hat seit mehreren Jahren in Textbeiträgen und Reden wiederholt extrem rechte Positionen bezogen und offensichtlich die Nähe zum Ideengut der Pegida-Bewegung gesucht. Er schloss sich mehreren Petitionen aus dem neurechten Spektrum als Erstunterzeichner an und publizierte auch in entsprechenden Zeitschriften, darunter die verfassungsfeindliche Sezession.

In einem offenen Brief aus der örtlichen Kulturszene, dem sich mehr als 400 Personen anschlossen, wurde daher Bernigs fachliche Eignung als Kulturamtsleiter angezweifelt. Hinzu kamen in einer Petition mit inzwischen rund 1.200 Unterzeichner*innen Bedenken, „dass dieser Kulturamtsleiter die freiheitliche Ausübung von Kunst und Kultur behindern oder einengen könnte“. In seinem gestrigen Schreiben weist Bernig sämtliche Vorbehalte zurück. Es habe von seiner Seite aus lediglich „kritische Wortmeldungen zur Einwanderungspolitik der Bundesregierung“ gegeben, von denen er nichts zurücknimmt.

Er hatte unter anderem von der Bundesrepublik als einem „Versuchslabor ethnischer Modifizierung“ gesprochen und sich damit die rassistische These eines „Bevölkerungsaustauschs“ zu eigen gemacht. Kritik an solchen Äußerungen stellt er dar als einen Versuch, „unliebsames Denken und unbequeme Positionen“ zu verdrängen. Es handle sich um „Handlungsweisen aus dem Repertoire des Totalitären“ und eine „Beschneidung von Freiheit“. Unter diesen Bedingungen könne er sich nicht erneut zur Wahl stellen, denn das hieße für ihn, „ideologische Handlungsweisen als Teil der Normalität anzuerkennen und zu rechtfertigen.“ Von Selbstkritik keine Spur. Dafür ruft er nun auf zu einer „von vielen geführten kultivierten Debatte“.

Tellkamp schaltete sich ein

Doch genau dieser Debatte entzog sich Bernig in den vergangenen Wochen beharrlich. Nur ein Mal hat er sich in der Zwischenzeit zu Wort gemeldet: Nachdem der renommierte Schriftsteller*innenverband PEN ihm einen Austritt nahelegte, antwortete er mit einem Brief, der im vollen Wortlaut zuerst auf der Website der rechtslibertären Zeitschrift Tichys Einblick und bei dem extrem rechten Compact-Magazin erschien. Er äußerte darin seine Hoffnung, „daß wir einander auf dem kulturellen Feld mit Offenheit, Interesse und Anerkennung begegnen und damit der Zerrissenheit unserer Gesellschaft entgegensteuern.“ Konkreter wurde er nicht.

Den „Stimmen der Irritation zu meiner Wahl“, die Bernig beklagt, erwiderte kurz darauf aber der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp in einem offenen Brief. „Kritische, von Gesetz und Meinungsfreiheit gedeckte Positionen zu unserer Einwanderungspolitik, zur Rolle bestimmter Medien und Politiker in der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre sind kein Grund, seine persönliche und berufliche Integrität anzugreifen und damit zu versuchen, seine Berufung zum Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul rückgängig zu machen“, so Tellkamp. Wahlergebnisse seien auch dann auszuhalten, „wenn sie denen, die nicht gewählt worden sind, mißfallen“.

Diesem Schreiben schlossen sich unter anderem die Dresdner Verlegerin Susanne Dagen, der Kabarettist Uwe Steimle und die ehemalige Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld an, ferner deren Ex-Ehemann Sebastian Kleinschmidt. Als prominentester Bernig-Unterstützer gab sich Christian Thielemann zu erkennen, er ist Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle in Dresden. Sein Name verlieh dem Tellkamp-Brief besonderes Gewicht, doch er zog seine Unterschrift rasch wieder zurück, da er „unzureichend informiert“ gewesen sei.

Gespaltene Ansichten bei der CDU

Ein anderer Unterzeichner, der Berliner Schriftsteller Friedrich Dieckmann, verteidigte Bernig dafür umso entschlossener. In einem langen Feuilleton-Beitrag für die Berliner Zeitung warf er den Kritiker*innen vor, einen „Sturm der Entrüstung“ entfesselt zu haben mit Hilfe der „ungeprüften Anschuldigung, Bernig sei ‚ausländerfeindlich'“. Ungeprüft? Dieckmann selbst spricht in diesem Zusammenhang von einer „Politik der offenen Grenzen mit einer lange unkontrollierten Masseneinwanderung aus dem muslimischen Orient“ und erkennt ein „von multinationalen Schlepperbanden angeheiztes Flüchtlingsproblem“.

Ein ganz eigenes Problem war derweil der sächsischen CDU aus der Causa Bernig erwachsen. Die Wahl nährte Vermutungen über eine Zusammenarbeit mit der AfD, deren Positionen der Schriftsteller offenkundig nahesteht. Offenbar hatte die CDU-Ratsfraktion mit dafür gesorgt, dass Bernig, der sich ursprünglich selbst auf die Stelle beworben hat, trotz fehlender Verwaltungserfahrung nicht vorzeitig ausscheidet, sondern bis in die Schlussabstimmung kommt. Die Beteiligten bestreiten freilich reihum, sich mit der AfD abgesprochen zu haben. Doch für das Ergebnis und den Eindruck, dass die Kleinstadt bei Dresden so etwas wie einen Kemmerich-Moment erlebt hat, war das gar nicht erforderlich.

Dazu kommt, dass mehrere der örtlichen CDU-Ratsmitglieder der nationalkonservativen WerteUnion angehören, aus deren Reihen heraus die Entscheidung für Bernig prinzipiell verteidigt wurde. Das tat auch eines der bekanntesten sächsischen Mitglieder der WerteUnion, der Politikberater Werner Patzelt, der in der Vergangenheit sowohl die CDU, als auch die AfD beraten hat. Ihm zufolge handle es sich um einen „medial unterstützten Aufstand gegen Wahlergebnisse“, so beginne „erfahrungsgemäß der Weg hin zu Revolution und Bürgerkrieg.“ Patzelt, der den Namen Bernig in seiner Stellungnahme nicht erwähnt, plädiert wie Tellkamp dafür, jedes erdenkliche Wahlergebnis anzuerkennen, „wenn zu ihm ein im Grundsatz vernünftiges Verfahren führte.“ Gewisse historische Beispiele, die gegen diese radikale Verkürzung des Demokratiebegriffs sprechen, mochten ihm einfach nicht einfallen.

Audienz bei Kretschmer

Die Landesspitze der CDU sah sich gleichwohl veranlasst, einzugreifen. Der Landesvorstand hat Generalsekretär Alexander Dierks als „Krisenmanager“ eingesetzt, versehen mit dem Auftrag, auf den Kreisverband der Partei und deren Ratsfraktion einzuwirken. Dierks bekräftigte in dem Zusammenhang, dass seine Partei mit der AfD keine gemeinsame Sache macht. Zuletzt schaltete sich auch der Ministerpräsident Michael Kretschmer persönlich ein. Er traf sich vor einer Woche mit Bernig zu einem „Bürgerdialog“. Bürger*innen waren zwar nicht geladen. An dem Gespräch nahm jedoch der bekannte Jazz-Musiker Günter Sommer teil, einer der vehementen Kritiker*innen.

Kretschmer selbst bezieht keine Position, er sieht sich als ein Vermittler, der für einen „fairen und respektvollen Umgang miteinander“ werben will. Bernig, so viel wurde bekannt, hat die Aufwartung, die ihm der Landeschef machte, „sehr gefreut“. Konkrete Inhalte und Ergebnisse des Gesprächs wurden nicht bekannt, es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Bernigs Rückzug ein Vorschlag Kretschmers war. Zuletzt stand eher zu vermuten, dass das Wahlergebnis am kommenden Montag sich vom früheren Ausgang kaum unterscheiden würde, dass Bernig vielleicht sogar noch mehr Stimmen erhalten könnte dank einer verbreiteten „Jetzt erst recht“-Stimmung.

Beim Streit um den künftigen Kulturchef werde „vor allem thematisiert, wofür jemand politisch steht“, beklagte zuletzt Oberbürgermeister Wendsche gegenüber der Sächsischen Zeitung. Das dürfe jedoch „keine Rolle spielen, solange man im Rahmen des Grundgesetzes bleibt.“ Der Schriftsteller sei gar „ein notwendiger Teilnehmer des Diskurses“, nur werde er „von vielen anderen Teilnehmern nur schwer als neutraler Diskursorganisator angenommen“. Die „weltanschauliche Verortung“ dürfe ebenso wenig eine Rolle spielen wie die sexuelle Orientierung, sagte er dem Tagesspiegel, und die Süddeutsche Zeitung erfuhr: „Bernig mag neurechts sein – das darf aber keine Rolle spielen.“

Doch, das darf, das muss es sogar.