AfD-Abgeordneter war Redner bei „rechtsextremistischer Veranstaltung“

Thomas Thumm, Landtagsmitglied aus dem Erzgebirge, sprach bei einer Protestveranstaltung gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie. Am Rand kam es zu Tumulten, im Anschluss fielen Neonaziparolen. Das sächsische Innenministerium hat dazu eine klare Einschätzung. Doch die Partei verbreitet eine ganz andere Sicht – mit Hilfe eines evangelikalen Autors und einer auflagenstarken Gratiszeitung.

Der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Thomas Thumm war Redner bei einer Kundgebung, die durch Sicherheitsbehörden als „rechtsextremistische Veranstaltung“ eingestuft wird. In einer internen Stellungnahme des Innenministeriums, die idas einsehen konnte, wird ausdrücklich auf eine Corona-Versammlung im erzgebirgischen Schwarzenberg hingewiesen, die am 9. Mai stattfand. Dort trat Thumm, der in dem Dokument nicht namentlich erwähnt wird, als Redner auf – bis die Polizei einschritt.

AfD-lastige Versammlung

Die Einschätzung der Versammlung beruht auf Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz und bezieht sich offenbar nicht nur auf einzelne Teilnehmende aus der rechten Szene, sondern gilt dem Gesamtcharakter der Kundgebung. Sie stand unter dem Motto „Vernunft statt Hysterie! Corona-Wahnsinn beenden“. In einem Aufruf, der in sozialen Netzwerken kursierte, wurde die Pandemie als „Irrwitz des Jahrhunderts“ und das Tragen von Schutzmasken als „lächerlicher Quatsch“ bezeichnet.

Der Anmelder ist gut bekannt. Es handelt sich um Jens Döbel, der sich 2015 einen Namen machte mit einem selbst gebauten Galgen, den er bei einer Pegida-Demonstration mitgeführt hat. Inzwischen sitzt er für die Wählerliste „Freie Bürger Schwarzenberg“ im örtlichen Stadtrat. Er hat sich zuletzt mehrfach an Protestaktionen gegen die Pandemie-Eindämmung beteiligt und dabei sowohl mit der neonazistischen NPD, als auch der extrem rechten Lokalpartei „Pro Chemnitz“ kooperiert. Im kommunalpolitischen Raum steht er der AfD nahe, für die kommende Bürgermeister*innenwahl in Schwarzenberg erwägt er gar, gemeinsam mit der Partei eine Kandidat*in aufzustellen.

Auch Döbels Kundgebung vor drei Wochen war auffällig AfD-lastig gestaltet. Als Redner vorgesehen waren unter anderem das Schwarzenberger Ratsmitglied Christian Ficker, ferner Matthias Henke, der für die Partei in den Stadtrat von Lößnitz eingezogen ist, und als bekanntester AfD-Vertreter schließlich Thomas Thumm. Für seine Landtagsfraktion fungiert er als Sprecher für den ländlichen Raum. Er galt bislang als unauffällig, seit Anfang der Jahres betreibt er ein Abgeordnetenbüro in Schwarzenberg.

Redebeitrag abgebrochen

Treffpunkt für die Kundgebung in der Stadt war der großen Festplatz an der B 101, die quer durch den Ort führt. Aufgrund der Corona-Schutzverordnung wurden nur 50 Menschen vorgelassen, die Veranstaltung durfte außerdem höchstens eine Stunde andauern. Tatsächlich endete sie noch viel früher, weil die Lage im Umfeld zu eskalieren drohte. Rund 200 Personen, so schilderte es im Anschluss die Polizei, versuchten sich Zugang zum abgesicherten Kundgebungsbereich zu verschaffen und blockierten dabei die anliegende Bundesstraße, wo der Verkehr sofort zum Erliegen kam.

Die Versammlungsbehörde forderte Döbel daraufhin auf, die Kundgebung vorzeitig zu beenden. Folge: Thumm, der sich gerade ausführlich an der Bundeskanzlerin Angela Merkel abarbeitete, konnte seinen Redebeitrag nicht mehr abschließen. Die Polizei, die mit rund 270 Beamt*innen vor Ort war, versuchte währenddessen, die Straße zu räumen und musste dafür etliche Personen, die auf Ansprachen nicht reagierten, zwangsweise abdrängen. In dem Zusammenhang wurden Strafanzeigen gegen zwei Personen wegen des Verdachts des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der Beleidigung und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz aufgenommen, weil Pyrotechnik gezündet worden ist.

Nach der Räumung der Straße kamen nochmals rund hundert Personen im Bereich des Marktes zusammen und lösten dort erneut einen Polizeieinsatz aus, weil Neonaziparolen gerufen worden sind. Gegen mehrere Beteiligte wird nun wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.

„Mit allem Nachdruck“

Etwas anders stellt sich der Ablauf auf Thumms Website dar, wo ein umfangreicher Bericht zu der Kundgebung und ihrem vorzeitigen Ende erschiedenen ist. Demnach seien sogar 500 Menschen nicht zur Kundgebung gelangt. Diejenigen, die den Verkehr blockierten, werden als „Bürger“ bezeichnet, die „Übergriffen“ ausgesetzt gewesen seien. Personalienfeststellungen werden fälschlich „Verhaftungen“ genannt, das Vorgehen der Polizei „Willkür“ und „Wahnsinn“. „Staat und Demokratie müssen dringend auf den Prüfstand“, heißt es dazu bei Thumm, und: „Erwirken kann das nur das Volk auf der Straße, friedlich, aber mit allem Nachdruck.“

Den Beitrag hat der Abgeordnete veröffentlicht, aber nicht selbst verfasst. Als Autor wird Thomas Schneider benannt. Er scheint mit dem AfD-Politiker enger verbandelt zu sein, denn er zeichnet für drei von insgesamt sieben aktuellen Beiträgen auf Thumms Website verantwortlich. Der 63-Jährige Schneider kommt aus dem nahe gelegenen Breitenbrunn und ist bekannt als ein umtriebiger evangelikaler Aktivist. So ist er bereits seit Jahren der maßgebliche Organisator des „Schweigemarschs für das Leben“ in Annaberg-Buchholz, einem bedeutsamen Anlaufpunkt für christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen, Antifeminist*innen und Heterosexist*innen. Hinter dem Marsch, der in diesem Jahr pandemiebedingt ausfällt, steht der durch Schneider mitbegründete Verein „Lebensrecht Sachsen“.

Der Verein führt die Aktivitäten der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) fort, einer Unions-nahen Organisation, deren erzgebirgischen Verband Schneider bis vor einigen Jahren anführte, zeitweise war er auch stellvertretender CDL-Landesvorsitzender. Im Jahr 2014 trat er aus der CDU aus, in der er sich zuletzt für eine nationalkonservative Ausrichtung („Aktion Linkstrend Stoppen“) starkgemacht hatte. Schneider betreibt heute etliche Websites, die sich mal gegen den Islam und Moscheebauten, mal gegen das Impfen wenden. Auch Werbebeiträge der AfD sind dort zu finden. Bei der Partei hatte er vor vier Jahren angedockt, hielt damals einem Vortrag für den erzgebirgischen Kreisverband und bekannte sich, AfD-Wähler geworden zu sein.

AfD nutzt evangelikalen Autor

Das wäre für den Fall Thumm kaum erheblich, wenn nicht die AfD mit einem mutmaßlich beträchtlichen finanziellen Aufwand dafür sorgen würde, Schneiders fragwürdige Ansichten enorm zu verbreiten: Der Beitrag, den er für Thumms Website verfasst hat, ist inzwischen in der Erzgebirgs-Ausgabe des WochenEndSpiegel erschienen, einer wöchentlich erscheinenden Zeitung, die gratis an Haushalte verteilt und durch mehrere Gemeinden für amtliche Bekanntmachungen genutzt wird. Die Gesamtauflage im Kreisgebiet liegt bei mehr als 160.000 Exemplaren.

In der vorletzten Ausgabe des Blattes tauchte Schneiders Text zur Schwarzenberger Kundgebung an prominenter Stelle auf, als Aufmacher auf Seite zwei. Erst bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass der Beitrag, der sich vom redaktionellen Inhalt ansonsten nicht abhebt, in kleiner Schrift als „Anzeige“ gekennzeichnet ist. Ähnliche Werbebeiträge der AfD wurden im WochenEndSpiegel schon früher eingebettet. Und nicht nur das: Die Freiberger Ausgabe der Zeitung lud 2015 zu einer Veranstaltung mit Thilo Sarrazin ein, die parallel auch durch die AfD beworben wurde. Die Zeitung organisierte die Veranstaltung gemeinsam mit der Agentur „WortReich“ von Michael Sitte-Zöllner, der in Nossen (Landkreis Meißen) lebt. Schon seit einer Weile ist Sitte-Zöllner bei der AfD-Landtagsfraktion angestellt, aktuell als persönlicher Referent des Fraktionsvorsitzenden Jörg Urban.

Auch später fiel der WochenEndSpiegel als blauer Meinungsverstärker auf. So beschwerte sich 2016 der Chefredakteur der Erzgebirgsausgabe in einem Meinungsbeitrag über „dem Waldorfschen Namenstanz nachhängende Gutmenschen“, durch die man „in die rechte Ecke gedrückt“ werde. Doch drücken muss man bei dieser Zeitung nicht: Im Folgejahr wurden in der Chemnitzer Ausgabe Bücher aus dem neurechten Antaios-Verlag des AfD-nahen Publizisten Götz Kubitschek ausdrücklich beworben – wohlgemerkt nicht in einer Anzeige, sondern in einer redaktionellen Kolumne. Im vergangenen Jahr lagen der Zeitung AfD-Flyer zur Landtagswahl bei. Einer der damaligen Wahlsieger heißt übrigens Thomas Thumm. Er errang ein Direktmandat im Erzgebirge.