Meuthen will die Spaltung, der „Flügel“ seinen Kopf

Durch eine „einvernehmliche Trennung“ will der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen die Machtkämpfe der verschiedenen Strömungen in seiner Partei lösen. Das kommt einer Spaltung gleich – und bisher nicht gut an. Die Unruhe wächst, von einer möglichen Abwahl ist bereits die Rede. Für Björn Höcke und Co. ist das die ersehnte Chance, zurückzuschlagen.

Es hätte ein Aprilscherz sein können, aber die Sache ist ihm ernst: In einem Interview, das am Mittwoch durch das AfD-nahe Magazin „Tichys Einblick“ veröffentlicht wurde, hat der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen eine Spaltung seiner eigenen Partei empfohlen. Es gebe „unvereinbare Positionen“ innerhalb der AfD, die seit langem eine „Zwangsgemeinschaft der permanenten programmatischen Zerrissenheit“ aushalten müsse, sagte er.

Entscheidung bis Ende des Jahres

Der 58-Jährige, der seit 2015 einer der AfD-Bundessprecher ist, sieht eine „wechselseitige Hemmung“, die messbare Auswirkungen zulasten der Gesamtpartei habe. So koste der Flügel die AfD „ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager“, und der „bürgerlich-konservative“ Teil der Partei, zu dem er sich selber zählt, komme „im staatpaternalistisch geprägten Wählermilieu des Flügels“ nicht gut an. Ihm legt Meuthen nun nahe, besser eine eigenständige politische Bewegung aufzubauen.

Heute Morgen legte Meuthen mit einer langen Erklärung auf seiner Facebook-Seite nach, die man als eine Präzisierung, aber auch als eine Rechtfertigung lesen kann. Demnach fordert er eine „strategische Diskussion ohne Denkverbote über die Zukunft unserer Partei“, an deren Ende eine „einvernehmliche Trennung“ der verschiedenen Grundströmungen stehen könnte. Sie stünden in einem „letztlich unauflösbaren innerparteilichen Konflikt zueinander“. Zwar habe der Bundesvorstand die Auflösung des Flügels beschlossen, doch es sei „unstrittig, dass die diesem Bündnis zugrundeliegende Haltungsgemeinschaft sich deshalb doch nicht in Nichts auflöst“. Die Idee, getrennte Wege zu gehen, gebe es ohnehin bereits „auf beiden Seiten der Partei“.

Von einer Spaltung will Meuthen zwar ausdrücklich nicht reden. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er jedoch, er wolle die Idee einer „Trennung“ nicht nur als ein Gedankenspiel in den Raum stellen, sondern „bis Ende des Jahres zu einer Entscheidung kommen“. Es ist eine Forderung, die noch eine ganze Weile die Partei beschäftigen wird – oder aber dem Vorsitzenden ein schnelles Ende bereiten könnte.

Chrupalla will Frieden mit Höcke

Meuthens Interview liest sich wie eine Gegenposition zu der Erklärung, die bereits am Dienstag von Tino Chrupalla, dem anderen Bundesvorsitzenden, in Umlauf gebracht wurde. „Mit vereinten Kräften für unser Land“, ist dieser Beitrag überschrieben, der auch als Rundschreiben ausgesandt wurde und in dem zur Geschlossenheit der Partei und ihrer Führungsgremien aufgerufen wird. Vor allem wird es als ein „wichtiges Zeichen für unsere Partei“ gewertet, dass der Flügel der Forderung des Bundesvorstandes gefolgt sei und „seine zeitnahe Abwicklung beschlossen hat“. Jetzt gehe es darum, wieder die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen.

Neben dem aus Sachsen stammenden Chrupalla tragen auch Alexander Gauland und Alice Weidel die Erklärung mit. Beide sitzen ebenfalls im Parteivorstand, sie leiten zudem gemeinsam die AfD-Bundestagsfraktion. Weidel und Chrupalla planen, im nächsten Jahr als Spitzen-Duo den Bundestagswahlkampf zu bestreiten. Gauland ist AfD-Ehrenvorsitzender auf Lebenszeit, sein Wort hat auch in Flügel-Kreisen Gewicht. Alle drei hatten zwar für eine Auflösung des Flügels gestimmt, aber auch Bedenken angemeldet und sich für ein eher zurückhaltendes Vorgehen mit einem großzügigen Zeitrahmen eingesetzt. Das Flügel-Thema, so kann man ihr gemeinsames Statement verstehen, ist für sie abgehakt. Was sie zu dem Thema sagen, liest sich wie ein Friedensangebot.

Dabei gibt es begründete Zweifel, ob die verfassungsfeindliche Strömung wirklich verschwunden ist. Ihre Anführer Björn Höcke und Andreas Kalbitz benutzen das Wort „Auflösung“ nur in Anführungszeichen. Sie haben ihre Gefolgsleute aufgerufen, „bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen“. Doch zur Auflösung von Strukturen, wie es der Parteivorstand eigentlich erwartet, sind sie nicht bereit, da es nach ihrer Behauptung keine gibt. Nach wie vor sind die Onlineauftritte der Gruppe abrufbar, auf der zugehörigen Facebook-Seite sind inzwischen sogar neue Beiträge erschienen. In einem gratuliert der Flügel Höcke zum Geburtstag. In dem anderen wird Chrupallas Text wiedergegeben, versehen mit einem ausdrücklichen Dank an ihn, Gauland und Weidel.

Alleingänge in der Parteispitze

Schon in der vergangenen Woche hatte sich Meuthen weit vorgewagt und dabei massive Kritik auf sich gezogen. Auf eine Presseanfrage erklärte er, man wolle den Flügel „zerschlagen“, Höckes Leuten warf er vor, sie hätten heimlich eine „Partei in der Partei“ aufgebaut. So sieht es auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, das den Flügel als verfassungsfeindlich eingestuft hat. Die AfD treibt die Sorge um, dass künftig die Gesamtpartei, die bislang als sogenannter Prüffall gilt, unter nachrichtendienstliche Beobachtung geraten könnte. Ein Schritt, der laut Meuthen sogar teilweise gerechtfertigt sein könnte – denn Teile des Flügels und mit ihm der Partei stünden nicht auf dem Boden der demokratischen Grundordnung. So offen hatte das vor ihm noch niemand gesagt.

Bei solchen Worten bleibe in der Zukunft „nicht viel Raum für eine konstruktives Miteinander“ mit dem Vorsitzenden, konterte der Flügel. Meuthens Interview dreht nun zusätzlich an der Eskalationsschraube. Für Viele in der Partei kam das überraschend, mit dem Bundesvorstand war Meuthens Vorstoß nicht abgestimmt. Laut Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung soll er jedoch Anfang der Woche Gauland über die Idee einer „Trennung“ informiert haben, der daraufhin Vertraute in der AfD-Bundestagsfraktion einweihte. Ergebnis war das gemeinsame Statement von Chrupalla, Gauland und Weidel, das ebenfalls nicht mit dem Bundesvorstand abgesprochen war. Meuthen soll, nachdem der Text erschienen ist, den Veröffentlichungstermin seines Interviews vorgezogen haben.

Er selbst verspricht sich, dass eine organisatorische Aufsplittung die Schlagkraft der rechten Opposition unterm Strich nicht etwa schwächen, sondern stärken würde. Es ist eine riskante Wette bei schlechten Quoten, zumal in einer Zeit, in der die AfD in Umfragen bundesweit absackt. Zuletzt, noch vor Beginn der Pandemiekrise, war sie bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Nach einer repräsentativen Umfrage, die von der AfD-nahen Wochenzeitung Junge Freiheit in Auftrag gegeben und heute veröffentlich wurde, befürwortet allerdings eine Mehrheit der bisherigen wie auch der potentiellen Wähler*innen der AfD eine stärkere Abgrenzung der Partei vom rechten Rand, eine Haltung, die deutlich stärker ausgeprägt ist als noch vor zwei Jahren. Auch die Auflösung des Flügels wird überwiegend begrüßt. Eine Ost-West-Schere gibt es in dieser Frage offenbar nicht.

Kaum Zuspruch für den Teilungsplan

Allerdings weiß man innerhalb der AfD nur zu gut, dass die bisherigen Abspaltungen und Ausgründungen – Bernd Luckes nationalliberale „ALFA“, Frauke Petrys nationalkonservative „Blaue Partei“ und André Poggenburgs nationalsozialistischer „Aufbruch deutscher Patrioten“ – chancenlos waren und rasch in der Bedeutungslosigkeit versunken sind. Man weiß auch und staunt inzwischen, dass Meuthen in der Vergangenheit zu denen gehört hat, die vehement und über alle Gegensätze hinweg die Einheit der AfD beschworen haben.

Beim sogenannten Kyffhäusertreffen vor zweieinhalb Jahren hatte er den Flügel noch als „integralen Bestandteil unserer Partei“ bezeichnet. „Wer das anders sieht, wer hier in Ausschließeritis verfällt, wer nicht erkennt, dass der Flügel ein wichtiger Bestandteil der Seele unserer Partei ist, wäre auch in der Position eines Bundessprechers fehl am Platze“, sagte er damals und versprach, er werde „alles“ dafür geben, „die unterschiedlichen Strömungen unserer Partei zusammen zu halten“, um gemeinsam die Schlagkraft der AfD zu erhöhen. Inzwischen vertritt er das genaue Gegenteil.

Klar ist auch: Selbst wenn es zu einer einvernehmlichen Trennung kommen sollte, wären Reibungsverluste vorprogrammiert, eine harte Konkurrenz um Ressourcen, Geld, Personal und nicht zuletzt auch um den Namen der Partei. Für deren „breite Mehrheit“ spricht er jetzt, glaubt Meuthen. Doch für diese Annahme gibt es kaum Indizien. Nur ein einziges prominentes Mitglied kann seiner Idee bisher etwas abgewinnen. Georg Pazderski, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte, der Vorstoß sei ein „interessanter Ansatz, den man durchaus diskutieren sollte.“ Doch Pazderskis Einfluss in der AfD ist geschwunden, im November 2019 schied er aus dem Bundesvorstand aus.

„Wenn die Granaten einschlagen“

Die Resonanz auf Meuthens Vorschlag ist fast durchweg fatal, niemand im Bundesvorstand hat sich angeschlossen. Beatrix von Storch, die ihm in vielen Fragen nahesteht, wies die „Gedankenspiele“ zurück. Zwar fordert sie „rote Linien zu extremistischen und nicht politikfähigen Personen“, aber die AfD sei „eine Partei für ganz Deutschland und das wird sie bleiben“. Stephan Protschka sagte, die neuen Diskussionen seien fehl am Platz und „maximal destruktiv“.

Auch der kommissarische Schatzmeister Carsten Hütter, der Landtagsabgeordneter in Sachsen ist, wendet sich gegen Meuthen. „Ich stehe definitiv für keine wie auch immer umschriebene Ab- oder Aufspaltung der Partei zur Verfügung, weil dies den Erfolg unserer Partei gefährdet“, sagte er tagesschau.de. Auf der Facebook-Seite Hütters, der dem Flügel nicht nahesteht, heißt es, er werde „weiterhin für die Geschlossenheit kämpfen“. Die sächsische AfD äußerte sich gestern nur kurz: „Die Einheit der AfD ist unantastbar!“ Der hiesige Landesverband, in dem die Höcke-Strömung eindeutig dominiert, hatte zuletzt den Bundesvorstand dafür kritisiert, den Flügel überhaupt zu thematisieren. Der Landesvorsitzende Jörg Urban und sein Generalsekretär Jan Zwerg haben zudem in einem internen Rundschreiben ihre Loyalität zu Höcke und Kalbitz bekräftigt.

Höcke selbst lässt auf seiner Facebook-Seite aktuell wissen, dass er es „töricht und verantwortungslos“ findet, die Einheit der Partei in Frage zu stellen. Die Junge Alternative mahnt derweil, ohne den Namen Meuthens zu erwähnen, „als Partei zusammen zu stehen, wenn die Granaten einschlagen“. Die Gegner*innen der AfD stehen außen, heißt es immer wieder. Wer ausschert, besorge deren Geschäft.

Wann fällt Meuthen?

Doch von der mantraartig beschworenen Einheit nehmen Teile der Partei ihren Vorsitzenden Meuthen bereits aus. Seit einigen Tagen kursiert eine durch anonyme Initiator*innen verfasste „Aufforderung zum Rücktritt vom Amt des Bundessprechers“, die Meuthen „spalterisches und egozentrisches Verhalten“ vorwirft. Vor allem die „öffentliche Hinrichtung des Flügels“ legt man ihm zur Last und sammelt Unterschriften, um Druck aufzubauen.

Jetzt, nach Meuthens Interview, ist sogar von Abwahlanträgen die Rede, die den Vorsitzenden selbst, aber auch den gesamten Parteivorstand treffen könnten. Ein Bundesparteitag müsste darüber entscheiden. Der nächste sollte Ende April stattfinden, doch der Termin wurde wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben.

Früher oder später, so sieht es derzeit aus, wird wohl eintreten, was Höcke androhte, nachdem der Bundesvorstand die Auflösung des Flügels verlangt hat: Teile der Parteispitze werden mit der kommenden Entwicklung „nicht mithalten können“. Die Zerschlagung des Flügels, so viel war klar, würde man Meuthen nicht verzeihen. Er könnte nun aber schneller unter die Räder kommen als gedacht.