„Der Flügel lebt!“

Vor genau einer Woche hat der AfD-Bundesvorstand entschieden, dass sich der verfassungsfeindliche Flügel auflösen soll. Inzwischen ist absehbar, dass der Beschluss ins Leere laufen wird und die innerparteilichen Fronten nicht zu befrieden sind. Dafür sorgt auch die sächsische AfD: Sie stellt sich offen hinter Björn Höcke. Das dürfte den Verfassungsschutz interessieren. idas dokumentiert die Chaostage der Partei.

Die Entscheidung, die der Parteivorstand der AfD vor einer Woche in Berlin getroffen hat, war eindeutig: Die Parteispitze erwartet vom Flügel um Björn Höcke und Andreas Kalbitz die Selbstauflösung. Bis Ende April lässt man der völkisch-nationalistischen Gruppe dafür Zeit, eine Frist, die man als kulante Geste verstanden wissen will. Der Höcke-Gefolgschaft, so die Annahme, bleibt dadurch genügend Spielraum für eine gesichtswahrende Abwicklung mit möglichst wenig Druck. Niemand werde „seine Parteimitgliedschaft oder sein Parteiamt“ verlieren, so das Versprechen. Es ist eine goldene Brücke, doch der Flügel passiert sie nicht.

Sonnabend, 21. März: Auflösung ist „Fake“

Aus Flügel-Sicht hatte man eine Mehrheit des Bundesvorstandes in der Tasche. Die Entscheidung der Parteispitze kam entsprechend unerwartet, das legen die hektischen Reaktionen nahe. Eigentlich sollten sich heute sogenannten Obleute treffen, deren Aufgabe es ist, die Flügel-Aktivitäten in den einzelnen Bundesländern zu koordinieren. Doch die Versammlung wird kurzfristig abgesagt, angeblich wegen der Corona-Pandemie. Stattdessen findet eine Beratung des innersten Zirkels statt. Höcke und Kalbitz treffen sich am Samstagnachmittag bei dem neurechten Publizisten Götz Kubitschek im sachsen-anhaltischen Schnellroda und schaffen dort Tatsachen – ohne die Obleute einzubeziehen.

Am frühen Abend erscheint auf der Facebook-Seite des Flügels dann zunächst ein kurzes Statement, laut dem sich die Gruppe auflösen wird. Damit wäre der Beschluss umgesetzt gewesen, ein kurzes, schmerzloses Ende, auf das man an der Parteispitze gehofft hatte und mit dem mehrere Obleute einverstanden gewesen wären. Doch das Statement bleibt nur kurze Zeit online und wird dann durch ein Dementi ersetzt: Medienberichte über eine Auflösung seien „unzutreffend“, heißt es jetzt, man beschäftige sich noch „intensiv mit der Bewertung und möglichen fristgemäßen Umsetzung des Bundesvorstandsbeschlusses“. Auch Kalbitz erklärt, dass der Flügel nicht aufgelöst sei, „alles andere ist Fake.“

Dabei waren es Flügel-Leute, die im Vorfeld verschiedenen Journalist*innen von der nahenden Auflösung berichteten. Aber das war nur eines unter mehreren Szenarien gewesen. Für die Details wurde auf ein Interview mit Höcke verwiesen, das demnächst auf der Website von Kubitscheks Zeitschrift Sezession erscheinen soll. Auch das war ein vorbereiteter Schritt. Als es dann für alle zu lesen ist, steht darin von einer Auflösung nichts. Das Führungsduo hat sich kurzfristig für eine anderes Szenario entschieden, mit pathetischen Worten spricht Höcke von einer „Historisierung“ des Flügels, die ohnehin schon länger geplant gewesen sei. Es ist der Versuch, wenigstens für den Moment die Deutungshoheit zurückzugewinnen, der Parteispitze keinen Sieg zu gönnen.

Zeichen dafür, dass der Flügel daran gedacht hätte, sich zurückzunehmen, zu „historisieren“ oder gar aufzulösen, gab es bislang nicht, im Gegenteil. Erst im November vergangenen Jahres ließ Höcke die Bezeichnung „Der Flügel“ beim Deutschen Patent- und Markenamt als sogenannte Wort-Bild-Marke eintragen, Anfang März wurde die Registerakte zum letzten Mal aktualisiert. Dadurch ist das Logo der Gruppe geschützt, wie es etwa auf Werbemitteln zum Einsatz kommt, die im offiziellen Flügel-Onlineshop erworben werden können. Es liegt also nahe, dass der Flügel noch einiges vorhatte, und davon gehen namhafte Flügel-Anhänger immer noch aus. Jörg Dornau beispielsweise, der für die AfD im Sächsischen Landtag sitzt, fasst die Lage am Abend auf seinem Facebook-Profil in einfacher Sprache zusammen: „Der Flügel lebt!“ So steht es dort bis heute zu lesen.

Sonntag, 22. März: Es bleibt „alles beim Bewährten“

Die jüngsten Vorgänge schlagen in der AfD hohe Wellen, aus der eindeutigen Entscheidung des Vorstands erwachsen neue Fragen. Was genau versteht man unter „Auflösung“, und was heißt eigentlich „Historisierung“? Parteichef Jörg Meuthen sagt der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, man wolle die „institutionellen Strukturen“ des Flügels „zerschlagen“. Onlineauftritte der Gruppe, ihre Treffen, selbst das Logo, das alles müsse weg. Damit werde es für Höckes Leute schwerer werden, „gemeinsam zuzuschlagen“, hofft Meuthen. Solche derben Worte kommen nicht gut an, auch nicht in der Parteispitze, wo man auf eine geräuscharme, einvernehmliche Lösung gehofft hat. Alexander Gauland, der Parteigründer, soll in Rage geraten sein: „Sehr kritisch“ sehe er es, wenn etwas „zerschlagen“ werden soll, sagt er wenig später in einem Interview.

Prompt rudert Meuthen zurück: Er habe zwar gesagt, was gedruckt wurde, das aber nicht zum Abdruck „freigegeben“. Höcke reagiert deutlich und zeigt, dass man sich keinesfalls „zerschlagen“ lasse. Gemeinsam mit Stefan Möller, mit dem er gemeinsam den thüringischen AfD-Landesverband leitet, wendet er sich in einem Rundschreiben an die dortigen Parteimitglieder und versichert, „dass diese Vorgänge auf unseren Landesverband keine Auswirkung haben werden.“ Der Landesverband existiere „unabhängig von allen innerparteilichen Interessengruppen“, personell bleibe „alles beim Bewährten.“

Das ist ein Affront gegen den Bundesvorstand. Denn die beabsichtige Auflösung des Flügels soll der Partei helfen, der steigenden Aufmerksamkeit der Verfassungsschutzbehörden zu entkommen. Sie geht in Thüringen bereits so weit, dass das dortige Landesamt für Verfassungsschutz den gesamten Landesverband zum sogenannten Verdachtsfall hochgestuft hat, weil der Flügel die Parteiarbeit „maßgeblich bestimmt“. Die Erklärung von Höcke und Möller bekräftigt diese Feststellung sogar.

Ganz ähnlich ist das Bild im Nachbarbundesland, wo die Partei ebenfalls vom Flügel dominiert wird. Hier ist es der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich, der eine Ersatzorganisation schaffen will: „Nachdem sich der Flügel in Abwicklung befindet, bietet die FPA an, sich unter ihrem Dach weiterhin für eine patriotische Politik in der AfD einzusetzen“, verbreitet er bei Facebook. Gemeint ist die „Freiheitlich patriotische Alternative“, die sich Anfang 2017 aus der sogenannten Patriotischen Plattform abgespalten hat. In der Patriotischen Plattform, die bis zu ihrer Auflösung ein Teil des Flügels war, hatte es Streit darüber gegeben, ob eine Neonazistin, Uta Nürnberger aus Leipzig, Mitglied sein darf. Für Ulbrich und seine vornehmlich sächsischen Mitstreiter*innen, darunter Norbert Mayer, der heute ebenfalls im Landtag sitzt, stand das außer Frage. Allerdings war die FPA, die sie aus der Taufe hoben, nur kurze Zeit aktiv. Ulbrich steht zwar am rechten Rand der Partei, genau wie Höcke, aber er ist keine Integrationsfigur.

Montag, 23. März: Sächsische AfD bleibt Flügel-treu

Andreas Kalbitz ist inzwischen ein gefragter Gesprächspartner für Medien, er wirkt in diesen Tagen, als wäre er Höckes Pressesprecher. Mehreren Medien sagt er, dass der Flügel dem Vorstandsbeschluss „fristgemäß folgen“ werde. Einen formalen Beschluss, so sein Tenor, könne man aber nicht erwarten, schließlich habe der Flügel keine formalen Strukturen, die so etwas beschließen könnten. Das wird immer wieder behauptet, entgegen den Erkenntnissen, die man inzwischen beim Verfassungsschutz gewonnen hat. Dort geht man von verdeckten Strukturen aus. Und auch der Parteivorstand nimmt das an, denn die Entscheidung, der Flügel möge sich auflösen, adressierte man direkt an das dann ausgefallene Obleute-Treffen.

Was mangels formaler Strukturen angeblich nicht möglich ist, passiert zudem in Hessen. Der dort aktive Flügel um die Obfrau Christine Anderson, die für die AfD im Europaparlament sitzt, erklärt in einem Rundschreiben die „Selbstauflösung“ des hessischen Flügel-Teils und wirbt sogar um Verständnis für die Haltung der Parteispitze. Dessen Beschluss sei auch als „ausgestreckte Hand in Richtung des Flügels“ zu verstehen, nicht als Abstoßung.

Die sächsische AfD sieht das völlig anders. Der Landesvorsitzende Jörg Urban und sein Generalsekretär Jan Zwerg, die beide dem Flügel angehören, wenden sich Anfang der Woche in einem Rundschreiben an die Parteimitglieder im Freistaat und geben darin eine eigene „Erklärung zur Auflösung des Flügels“ ab. Für die Tagesschau berichteten NDR und WDR zuerst über den Inhalt: „Zu unserer AfD gehört jeder, dem die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt und der sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt. Björn Höcke und Andreas Kalbitz gehören selbstverständlich dazu.“ Das interne Papier ist eine Loyalitätserklärung an den Flügel und damit das Gegenteil einer Distanzierung, die man sich im Bundesvorstand wünscht. Dessen Beschlüsse binden auch die Landesverbände. Doch bereits am vergangenen Freitag, als die Parteispitze ihren Entschluss fasste, hat der sächsische Landesvorstand eine eigene Erklärung abgegeben, in der er kritisierte, dass überhaupt eine „Debatte über innerparteiliche Strömungen“ stattfindet.

Das Schreiben von Urban und Zwerg zeigt die tiefe Zerrissenheit der Partei, wenn man Vergleiche zieht mit Statements anderer Landesverbände. Fast zeitgleich wendet sich beispielsweise der Landesvorstand der nordrhein-westfälischen AfD an seine Mitglieder und nimmt ebenfalls Stellung zum Flügel. In dieser Erklärung ist zu lesen, dass der Flügel die innerparteiliche Solidarität untergraben habe und der gesamten Partei „in den Rücken gefallen“ sei – nunmehr dadurch, sich der Auflösung zu entziehen und damit alle Versuche zunichte zu machen, einer Verfassungsschutz-Beobachtung zu entkommen. Nach der thüringischen hat sich nun auch die sächsische AfD noch deutlicher ins Fadenkreuz gestellt.

Dienstag, 24. März: Auflösung in Anführungszeichen

Kalbitz bleibt dabei, der Flügel wird der „Erwartung“ des Bundesvorstandes folgen, erfahren Medien heute erneut von ihm. Da der Flügel eine „informelle Interessengruppe“ sei, könne man „keine Mitgliederverzeichnisse schreddern, die es nicht gibt“. Jedoch werde man „Aktivitäten und Außenauftritte“ beenden. Und Innenauftritte? In einem Videointerview mit dem extrem rechten Compact-Magazin, das der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete und Flügel-Obmann Jens Maier am Abend gibt, versichert er, dass man sich „neu sortieren“ werde. Der Beschluss des Bundesvorstandes sei ohnehin nicht mehr als eine Empfehlung, sagt Maier, Richter am Landgericht Dresden. Und: „Als Haltungsgemeinschaft sind wir natürlich immer noch da.“

Das Interview ist gerade abgedreht, da erscheint auf der Facebook-Seite des Flügels unter den Namen Höckes und Kalbitz‘ erneut so etwas wie eine Auflösungserklärung. Das Wort „Auflösung“ steht darin konsequent in Anführungsstrichen. Man bittet nunmehr „alle, die sich der Interessensgemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen.“ Die Verantwortung für die Auflösung wird wegdelegiert an die eigene Anhängerschaft, von der man sagt, dass sie keine Mitglieder seien, dass man sie im Grunde gar nicht alle kennt. Was Höcke und Kalbitz selbst beitragen werden, um den Vorstandsbeschluss umzusetzen? Dazu fällt kein Wort. Von einer organisierten Abwicklung, etwa mithilfe der Obleute, ist nicht die Rede.

Stattdessen heißt es, der Flügel sei gegründet worden, um „die Partei als wahre Alternative für Deutschland zu erhalten“. Auch künftig wolle man gemeinsam dafür eintreten, dass die AfD „eine wirkliche Alternative für Deutschland bleibt“. Die Kernbotschaft des länglichen Statements passt in einen einzigen Satz: „Die Arbeit geht weiter.“ Nur den „Rahmen des Flügels“, den gemeinsamen Namen, wird es nicht mehr geben.

Mittwoch, 25. März: Kalbitz sieht den Flügel als Opfer

Die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit, die oftmals AfD-nahe Positionen publiziert, befragt den Parteichef Jörg Meuthen zum Flügel, und der wählt erneut deutliche Worte: In der Strömung gebe es „die ein oder andere Person“, die nicht auf dem Boden der Grundordnung stehe und daher nicht zur Partei passe. In ihrem Abwehrkampf gegen den Verfassungsschutz versucht die AfD, sich als eine konservative „Rechtsstaatspartei“ zu positionieren. Doch „in einzelnen Fällen“, so Meuthen, sei die Beobachtung des Flügels – und damit von Teilen der AfD – durch den Nachrichtendienst sogar gerechtfertigt. So offen hat das bisher noch niemand eingeräumt.

Der Flügel reagiert prompt, keilt auf seiner Facebook-Seite in einem nicht namentlich gekennzeichneten Beitrag zurück und beschwert sich, dass Meuthen „die einflussreichste Interessensgemeinschaft innerhalb seiner eigenen Partei“ zerschlagen wolle. Wer so etwas sage, lasse „nicht viel Raum für eine konstruktives Miteinander. Was sagt das aus über einen Bundessprecher, der so über einen nicht unwesentlichen Teil seiner Partei spricht?“ Auf seinen letzten Metern, so mag man das verstehen, ist der Flügel nunmehr bereit, die Führungsfrage zu stellen, die Parteispitze offen anzugreifen.

Dazu geht jetzt auch Kalbitz über in einem Interview mit der österreichischen Zeitschrift „Freilich“, einem Nachfolger des extrem rechten Blattes „Aula“. Dort kritisiert er, dass der Bundesvorstand „das Geschäft des politischen Gegners erledigt“ und die ganze Partei wie einen „zerstrittenen Haufen“ dastehen lasse. Zwar werde man dem Beschluss „fristgemäß Folge leisten“, versichert er einmal mehr. Aber er gibt der Entwicklung einen neuen Spin: „Das Ende des Flügels bedeutet ja nicht das Ende der Überzeugungen und des entschlossenen Engagements seiner Sympathisanten“. Gradmesser für die Arbeit innerhalb der AfD seien Erfolge wie in Thüringen, Brandenburg und Sachsen – dort, wo der Flügel besonders stark ist. Wie vor ihm Höcke vermeidet es Kalbitz, von einer Auflösung zu sprechen. Die Rede ist von einer „Zurücknahme des Flügels“.

Ausdrücklich warnt Kalbitz seine Partei davor, dem Druck des Verfassungsschutzes nachzugeben, von einem „willigen Vollstreckertum“ spricht er sogar. Es ist eine demagogische Wortwahl, angelehnt an Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, das 1996 erschien und in dem analysiert wird, wie „ganz gewöhnliche Deutsche“ – so der Untertitel – zum Holocaust beitrugen. Kalbitz, soll das wohl heißen, sieht sich und seinen Flügel als ein mit den europäischen Jüdinnen und Juden vergleichbares Opfer, deren Schicksal er zugleich relativiert. So spricht eben ein Mann, der jahrzehntelang in der Neonaziszene aktiv war.

Donnerstag, 26. März: „Keine Daseinsberechtigung“

Alexander Gauland gibt der WELT ein Interview und versucht, in dem offenen Streit zu vermitteln. Der Beschluss des Bundesvorstandes, gegen den er ursprünglich Bedenken geäußert hatte, sei „im Prinzip“ richtig, sagt er. Im Osten sei aus dem Flügel „etwas sehr Positives entstanden, das bei Wahlen gut funktioniert“, meint er. Aber im Westen sei das nicht der Fall, und es gäbe leider auch „Einzelne“, die im Namen des Flügels Unruhe stiften. In der heutigen AfD habe diese Strömung „keine inhaltliche Daseinsberechtigung mehr“, so der Ehrenvorsitzende, der auch die AfD-Bundestagsfraktion anführt.

Damit spricht Gauland vor allem ein Machtwort in Richtung von Höckes Leuten, die ihn als Autoritätsperson akzeptieren. Zwar behauptet Gauland bei der Gelegenheit, dass er im Flügel „nicht zuhause“ sei. Er hält aber eine große Aktie am langen Aufstieg und dem heutigen Einfluss der Strömung. Im Frühjahr 2015 war er einer der bekanntesten Unterzeichner der Erfurter Resolution gewesen, des Gründungsdokuments des Flügels. Den hat er danach immer wieder in Schutz genommen. Umgekehrt warb der Flügel bis zuletzt mit Gauland-Zitaten, ohne dass er etwas dagegen gehabt hätte. „Ich trage die Erfurter Resolution ohne Wenn und Aber mit“, lautet einer dieser Sätze. Gauland hat das nie widerrufen, hat sich nie distanziert. Auch jetzt ist er milde, nennt die Flügel-Anhänger*innen „unsere Mitglieder“. Sie dürfen bleiben: Trotz energischer Forderungen aus Teilen der Partei hat der Bundesvorstand keine Schritte unternommen, Höcke zu disziplinieren. Er hat auch dem Vorschlag, Kalbitz auszuschließen, nicht nachgegeben.

Aus Sicht des Verfassungsschutzes zählt Gauland aber sehr wohl zum Flügel. Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Anfang vergangenen Jahres die Partei zum Prüf- und den Flügel zum Verdachtsfall erklärt hatte, sagte BfV-Präsident Thomas Haldenwang in einer nichtöffentlichen Sitzung des Bundestags-Innenausschusses, er sehe Gauland „mit im Personenpotential“ des Flügels. Dieses Potential ist auch jetzt nicht verschwunden. Inzwischen, das zeigen aktuelle Recherchen von NDR und WDR, gibt es sogar Befürchtungen innerhalb der AfD, dass sich daraus eine neue Partei formieren könnte. Sowohl die Gefolgschaft Höckes wie auch seine Kontrahent*innen, Leute wie der Parteichef Meuthen also, würden sich bereits „auf die Möglichkeit einer Spaltung vorbereiten“. Es ist ein drittes denkbares Szenario neben der Auflösung des Flügels, die der Vorstand will, und der „Historisierung“ oder „Zurücknahme“, wie es Höcke und Kalbitz nennen.

Freitag, 27. März: „Szenetypisches Verhalten“

Die Bilanz dieser Woche, in der sich der Flügel windet, aber nicht auflöst, ziehen die Verfassungsschutzämter. Stephan Kramer, der den thüringischen Nachrichtendienst leitet, nennt die verschiedenen Flügel-Statements eine „Nebelkerze“. Was bisher zu hören war, sei „szenetypisches Verhalten“. Entscheidend bleibe, „ob sich die Partei vom Flügel tatsächlich distanziert“, wovon nicht viel zu sehen sei. Auch der niedersächsische Verfassungsschutz-Präsident Bernhard Witthaut sieht in der vorgeblichen Auflösung „reine Augenwischerei“. Es sei aktuell davon auszugehen, „dass sowohl die ideologischen Einstellungsmuster der Gruppierung als auch ihre ausgebauten und professionalisierten Strukturen bis auf weiteres bestehen bleiben“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

Bei der Entscheidung, den Flügel unter Beobachtung zu nehmen, hatte sich das BfV auf den „signifikanten Bedeutungszuwachs“ innerhalb der AfD gestützt und auf die „qualitative Verschärfung und quantitative Verfestigung“ der verfassungsfeindlichen Ausrichtung, die auch erhebliche Teile der Gesamtpartei prägt. In Deutschland, so viel ist jetzt klar, gibt es zwei namhafte Parteien, die keine Anstalten machen, sich abzugrenzen und von extrem rechten Teilen zu trennen. Die andere Partei ist die NPD.